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MPMB – 3. (Un)Learning: Die 1. Phase der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe

 
 
Wie funktioniert der Beziehungsaufbau zwischen Pferd und Mensch auf Augenhöhe? Und worauf kommt es in der ersten Phase wirklich an? Das erfährst du in diesem Beitrag.

Dieser Artikel ist Teil unserer Beitragsreihe zum Modell der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe (MPMB). Dieses Modell zeigt dir die Entwicklung hin zu einer Beziehung zwischen Mensch und Pferd, die von Sanftheit geprägt ist. Eine Beziehung, in der du deinem Pferd auf Augenhöhe begegnen kannst.

Ich empfehle dir, zuerst die beiden vorigen Artikel dieser Beitragsreihe zu lesen:

1. Das Modell der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe
2. Die 4 Phasen der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe
3. (Un)Learning – Die 1. Phase der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe 👈 Du bist hier.
4. Nurturing – Die 2. Phase der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe
5. Coalescing – Die 3. Phase der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe
6. Flourishing – Die 4. Phase der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe

Bereit? Dann lass uns eintauchen!
 
 

Die Entwicklung der Pferd-Mensch-Beziehung in der (Un)Learning-Phase

Im letzten Artikel haben wir Folgendes festgestellt: Die (Un)Learning-Phase beginnt mit dem Wunsch nach Sanftheit und einer Beziehung auf Augenhöhe und endet mit einer konkreten Idee davon, wie du diesen Wunsch in die Realität umsetzen kannst.

Obwohl auch dein Pferd in dieser Phase eine erste Entwicklung durchläuft, liegt der entscheidende Schritt hier auf deiner Seite:

Du eignest dir Wissen an. Du hinterfragst deine Überzeugungen. Du baust ein Verständnis für einen sanften Pferdeumgang auf. Du (ver)lernst.

Damit schaffst du die Basis für eine Freundschaft mit deinem Pferd. Für eine Beziehung auf Augenhöhe.
 
 

Die wichtigste Aufgabe in der (Un)Learning-Phase: (Ver)Lernen

Lass uns die wichtigste Aufgabe in der (Un)Learning-Phase an einem Beispiel verdeutlichen:

Woher weißt du, wann ein Pferd frech ist? Oder respektlos?

Du erkennst ein freches oder respektloses Pferd, weil andere Menschen immer wieder darauf hingewiesen haben, dass ein Pferd, das sich am Menschen schubbert, am Strick zieht, schnappt, an Jackentaschen rumnestelt, mit dem Kopf schlenkert oder im Training abgelenkt ist, frech bzw. respektlos ist.

Menschen koppeln Worte an Erfahrungen. Und so bauen wir Konzepte auf, die wir mit unseren Mitmenschen teilen. Wir erschaffen unsere soziale Realität. Diese Realität ist nicht das, was “da draußen” wirklich stattfindet. Sie ist die Bedeutung, die wir den Geschehnissen geben. Diese Bedeutung wird zur Realität, indem wir uns darauf einigen, an sie zu glauben.

Das Pferd, das sich am Menschen schubbert ist wirklich da. Das “freche Pferd” existiert nur in deinem Kopf.

Um das zu verstehen, müssen wir kurz über eine der faszinierendsten Erfindungen sprechen: Das Gehirn.
 

Exkurs: Wie dein Gehirn das Wesen deines Pferdes erschafft

Dein Gehirn kann die Realität nicht direkt wahrnehmen. Dazu muss es aus den eingehenden Nervenimpulsen deiner Sinnesorgane Bedeutung erschaffen.

Wie macht es das?

Indem es bemerkt, wenn Merkmale wiederholt zusammen auftreten. So wie die Bezeichnung “respektlos” in Zusammenhang mit Situationen, in denen ein Pferd den Menschen anrempelt, sich nicht einfangen lässt oder beim Hufe auskratzen rumzappelt.

Dass wir diese Verhaltensweisen in eine Box mit der Aufschrift “respektlos” werfen, bedeutet nicht, dass “Respektlosigkeit” tatsächlich IM Wesen Pferd existiert.

Es bedeutet nur, dass wir verschiedene Verhaltensweisen in eine mentale Box werfen. In dieser Box sind auch Handlungsanweisungen, Bewertungen und Schlussfolgerungen, die darüber bestimmen, wie du mit “respektlosen” Pferden umgehst.

Das Problem dabei: Die Verhaltensweisen können unterschiedliche Ursachen und Auslöser haben. Schnappen und Beißen kann z.B. folgende Ursachen und Auslöser haben:

  • Schmerzen!
  • Übersprungshandlung bei Stress
  • Zahnwechsel bei Jungpferden
  • Spielaufforderung (gerade bei Wallachen/Hengsten)
  • Unsicherheit durch inkongruentes Verhalten des Menschen
  • Balanceverlust in der gemeinsamen Bewegung
  • übergriffiges Verhalten des Menschen

Von diesen Ursachen merkst du nichts, solange dein Gehirn bei dem Verhalten des Pferdes gleich “Respektlos! Frech! Der testet dich!” schreit. Das liegt daran, dass dein Gehirn nicht nur die Sinnesreize einsortiert, die von außen eintreffen. Stattdessen ist es ständig damit beschäftigt, Annahmen zu erschaffen. Es versucht möglichst präzise vorherzusagen, was als nächstes passieren wird. Auf diese Weise sichert dein Gehirn dein Überleben.

Wenn “Respektlosigkeit” für dein Gehirn ein häufiger Grund für Pferdeverhalten ist, dann wird es ständig annehmen, dass Pferde sich respektlos verhalten. Dadurch verändert sich, was du WAHRnimmst. Wie die Neuronen in deinem visuellen Kortex feuern, verändert sich je nach Konzept, mit dem dein Gehirn sich eine Situation erklärt.

Freche Pferde existieren ebenso wie Einhörner 🦄. Nicht “da draußen”, sondern “hier drinnen” – in unseren Köpfen.

Wieso ist es wichtig, das zu verstehen?

Nehmen wir an, Rangordnung ist die Basis für jede Interaktion zwischen Pferd und Mensch. Was schlussfolgert man aus dieser Perspektive, wenn ein Pferd sich widersetzt? Wenn es sich zum Beispiel nicht satteln lässt, nicht angaloppiert oder an der Herde klebt?

⇢ Die Rangordnung ist nicht geklärt. Das Pferd ist aufmüpfig. Es muss untergeordnet werden und der Mensch muss sich durchsetzen.

Wenn du so denkst, schränkt dich das im Beziehungsaufbau zu deinem Pferd extrem ein. Wenn du sein Verhalten vorschnell in eine Box einsortierst, kannst du den Ursachen nicht mehr auf den Grund gehen. Wenn du jedes Verhalten im Sinne von Rangordnung, Dominanz, Respekt und Gehorsam interpretierst, fällt es dir schwerer Ursachen wie Schmerzen, Unsicherheit, Stress und ungestillte Bedürfnisse überhaupt zu sehen. Übersiehst du diese Möglichkeiten, kannst du dein Pferd nicht wirklich verstehen und kratzt mit deinen Lösungsansätzen an der Oberfläche.

Um das zu ändern, müssen wir eines verstehen: Vieles, was du und ich als Wissen und Wahrheit ansehen, ist eigentlich nur EINE mögliche Erklärung von vielen.

Um neue, sanfte Wege zu gehen musst du unterscheiden: Ist das Realität oder Einhorn? Ist das meine mentale Einordnung? Und gibt es eine Einordnung, die für einen sanften Umgang sinnvoller wäre?
 
 

Das Ziel: Sanftheit – Der Weg: Neue Konzepte

Um den Umgang mit deinem Pferd sanfter zu gestalten, brauchst du passende Konzepte. Ein Konzept von Sanftheit, von sanftem Pferdetraining, von einer Beziehung auf Augenhöhe. Und du musst deine alten Konzepte überdenken, verändern oder verwerfen. Sonst wird das, woran du glaubst, ständig das boykottieren, was du dir wünschst.

Als erstes gilt es zu begreifen, dass Dominanz, Rangordnung, Konsequenz, Respekt usw. kein Realität sind, die wir detailgetreu wahrnehmen – sondern Ideen. In unseren Köpfen.

Du kannst diese Ideen loslassen, wenn sie deinem Ziel nicht mehr dienen.
 

Es geht beim Aufbau deiner Wissensbasis viel weniger darum, was unumstößlich wahr ist. Es geht darum, was möglich ist.

 
Welche Vision kannst du erschaffen? Welche Ideen kannst du leben?

Pferde schubbern sich immer noch an Menschen, schnappen oder lassen sich ablenken. Auf wie viele Arten kannst du dieses Verhalten erklären, verstehen und wahrnehmen?

Stress, Bedürfnisse, Affekte, Selbstregulation, Schmerzen, Kommunikation -Je mehr Konzepte du hast, mit denen du dir das Pferdeverhalten erklärst, desto besser kannst du zu den Ursachen vordringen. Desto leichter kannst du dein Pferd verstehen.

Je reifer und ausgefeilter deine Konzepte sind, mit denen du einen Umgang auf Augenhöhe gestaltest, desto sanfter kannst du werden.
 
 

Erste neue Konzepte: Autonomie & Eigeninitiative

In der (Un)Learning-Phase baust du zwei neue Konzepte auf:

Autonomie & Eigeninitiative.

Für eine Beziehung auf Augenhöhe muss dein Pferd seinen Willen kundtun können.

Es muss Nein sagen können.

Durch dieses Nein entsteht erst die Möglichkeit, dass dein Pferd freiwillig Ja sagt.

Das ist Autonomie.

Für viele Pferde ist es schon heilsam, wenn sie das erste Mal in ihrem Nein gehört werden. Denn sie sind es gewohnt, kein Mitspracherecht zu haben. Dass sie nicht gefragt werden. Gehorsam und Funktionieren auf Knopfdruck sind immer noch für viele Menschen der Maßstab für gelungene Pferdeausbildung und traurigerweise auch für eine gute Pferd-Mensch-Beziehung.
 
 

Autonomie – Vom Gehorsam zum Nein des Pferdes

Gehorsam hat nichts mit einer gesunden Beziehung zu tun. Auf Gehorsam zu bestehen macht dich nicht zu einem Anführer, dem sich dein Pferd freiwillig anschließt.

Wieso scheint die Arbeit am Gehorsam dann so gut zu funktionieren?

⇢ Weil sie dem Pferd zeigt, dass es am wenigsten unangenehm ist zu tun, was der Mensch verlangt.

Für eine Beziehung auf Augenhöhe hinterfragen wir, für welche Situationen die Arbeit am Gehorsam wirklich notwendig ist. Und in welchen Situationen wir keinen Gehorsam brauchen. Wir schaffen Räume, in denen das Pferd explizit NICHT gehorchen muss. In denen es Nein sagen kann und gehört wird.

Dieses Nein ist anfangs häufig noch sehr leise. Du musst genau hinschauen: Macht dein Pferd mit, weil es brav ist? Aus Gewohnheit? Aus Angst vor Konsequenzen? Oder weil es aus eigenem Antrieb wirklich will?

Achte auf die Mimik deines Pferdes, seine Körperspannung. Ein kleines Zögern oder eine minimale Bewegung von dir weg kann ein leises Nein sein. Achte dein Pferd, indem du inne hältst. War das ein Nein? Lass dein Pferd die Antwort darauf geben.

Mit der Zeit wird das Nein deines Pferdes eindeutiger und deutlicher. Aber wir brauchen nicht nur Autonomie. Nicht nur die Fähigkeit, Nein zu sagen. Wir brauchen auch die Fähigkeit des Pferdes, sich aktiv in die Interaktion einzubringen.
 
 

Eigeninitiative – Von “Nein” zu eigenen Vorschlägen des Pferdes

Eigeninitiative ist die Fähigkeit des Pferdes zu kommunizieren, was es tun will. Eigene Ideen zu entwickeln und sie dem Menschen zu präsentieren.

Warum ist das so wichtig?

Du kannst mit deinem Pferd nur eine Beziehung auf Augenhöhe führen, wenn dein Pferd dir seine Meinung und Wünsche mitteilt. Ohne Eigeninitiative wird es sich das aber entweder nicht trauen oder nicht wissen, dass es das kann.

Wenn du in der Arbeit mit deinem Pferd bisher viel Wert auf Gehorsam gelegt hast, wird Eigeninitiative kniffliger zu erarbeiten sein. Denn dein Pferd hat dann häufig die Erfahrung gemacht, dass du es für sein selbst initiiertes Verhalten strafst.

Was passiert, wenn du deinem Pferd nicht sagst, was es tun soll? Zum Beispiel, wenn ihr auf den Reitplatz geht und du dich einfach neben dein Pferd stellst, ohne ein Signal zu geben?

Geht dein Pferd gleich in den Pause-Modus über? Dann hat es wahrscheinlich gelernt, dass es auf deine Anweisung warten soll.

Das ist nicht per se schlimm. Auch im sanften Pferdetraining wollen wir, dass das Pferd entspannt beim Menschen stehen kann und nicht zwanghaft Verhalten abspult.

Aber wenn du den Raum dafür öffnest, dann soll dein Pferd ebenso in der Lage sein, eigene Ideen zu entwickeln. Worauf hat dein Pferd gerade Lust? Was geht in seinem Kopf vor sich? Welche Idee hat es?

Dein Pferd hat einen eigenen Antrieb. Und diesen möchten wir mit der Arbeit an der Eigeninitiative ankurbeln. Damit dein Pferd lernt zu sagen: “Lass uns XYZ machen!”.

Wie machst du das?

Indem du die Ideen deines Pferdes bestärkst. Und jedes Pferd hat eigene Ideen. Wir müssen sie nur wahrnehmen.

In diesem Beitrag lernst du eine Übung dazu kennen:  Das Kleinste Angebot
 
 

Die Entwicklung des Pferdes in der (Un)Learning-Phase

Wenn du an Autonomie und Eigeninitiative arbeitest, macht dein Pferd erste Erfahrungen mit einem sanfteren, nachsichtigeren Umgang. Es bekommt eine erste Idee davon, dass es Nein sagen kann und dass es seine Meinung äußern darf.

Es entwickelt ein erstes vorsichtiges Vertrauen in diesen veränderten Umgang. Du kannst dieses Vertrauen leicht verletzen, indem du in alte Muster zurückfällst. Das wird dir oft passieren, solange du keine konkrete Idee davon hast, wie genau ein sanfter Umgang langfristig funktionieren kann. Das ist ganz normal.

Deshalb ist die (Un)Learning-Phase von Rückschritten geprägt.

Vielleicht ist dein Pferd auch eher von der selbstbewussten Sorte und hatte schon immer eine starke eigene Meinung. Auch dann wird es dir anfangs nicht leicht fallen, dauerhaft einen sanften Umgang aufrechtzuerhalten. Besonders dann nicht, wenn du deinem Pferd nun immer mehr “durchgehen” lässt und immer mehr Raum für dessen klare Meinung lässt – ohne auf ausgefeilte Konzepte für einen sanften Umgang zugreifen zu können.

Leg deinen Fokus deshalb weniger auf die Entwicklung deines Pferdes und verändere in eurem Umgang noch nicht so sehr. Konzentriere dich stattdessen auf deine Wissensbasis. Auf die Veränderung deiner Konzepte. Je mehr du lernst, desto besser kannst du später die Entwicklung deines Pferdes begleiten.
 
 

Fazit

Die (Un)Learning-Phase ist besonders herausfordernd. Und sie wird umso schwieriger, mit je weniger Wissen du in die Umsetzung gehst. Lass dir Zeit! Du musst den Umgang mit deinem Pferd nicht von heute auf morgen komplett umkrempeln.

Beobachte stattdessen euren Umgang, so wie er jetzt ist.

Beobachte, wie dein Pferd leise Nein sagst. Finde heraus, wie du potenziell mehr Raum für die Bedürfnisse, Wünsche und Ideen deines Pferdes lassen könntest. Und lerne, lerne, lerne.

Im nächsten Beitrag befassen wir uns näher mit der Nurturing-Phase.

Hier entlang 👉 4. Nurturing – Die 2. Phase der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe
 

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