Das Beste aus zwei Welten: Philosophie und Therapie in einem Buch vereint. Genau das schafft Hannah Ruhnau von Pferd im Mittelpunkt eindrucksvoll mit ihrem E-Book: “Hand aufs Pferd”. Dieses E-Book ist nicht nur für Anatomienerds wie mich eine Freude, sondern auch für alle, die einen achtsamen Umgang mit ihren Pferden pflegen und ihnen gerne etwas Gutes tun möchten.
Nach einem kurzen Vorwort lädt Hannah den Leser zu einer Reise durch den Pferdekörper ein. Vom Kopf beginnend weiter über die Mittel- und Hinterhand des Pferdes vermittelt sie anschaulich Hintergrundwissen und spannende Informationen über die einzelnen Bereiche. Sei es über das natürliche Bewegungsmuster des Pferdes, die Schlüsselstelle Brustkorb oder die natürliche muskuläre Reaktion des Pferdes auf Stress – der Leser erhält hier bereits eine sehr fundierte und gleichzeitig prägnante Einführung in wichtige Kettenreaktionen im Pferdekörper.
Im Abschnitt über die Muskulatur wurde vor allem mein innerer Nerd angesprochen ;). Nach der Beschreibung des Aufbaus und der grundlegenden Funktion von Muskeln und ihrer Arbeit in Ketten, durfte ich noch den ein oder anderen “Aha”-Moment erleben, zum Beispiel bezüglich des Zusammenhangs zwischen Triggerpunkten und Beweglichkeit.
Spannende Zusammenhänge in der Muskulatur
Wusstest du, dass der Kopf in seiner natürlicherweise tiefen Fressposition fast keine Muskelspannung benötigt und die Nackenstrecker gar nicht darauf ausgelegt sind, den Kopf und Hals lange in einer immer gleichen, angehobenen Haltung (wie beispielsweise beim Reiten mit starren Zügel oder gar Ausbindern) zu tragen? Eine mögliche Schlussfolgerung daraus ist, dass wir stets auf eine wechselnde Kopf-Halsposition achten sollten, um Verspannungen und somit Blockaden im Nacken unserer Pferde zu verhindern.
Oder dass eine Sehne die Verlängerung eines Muskels darstellt? Wenn dieser Muskel dauerhaft stark angespannt ist, dann entsteht ebenfalls Zug auf der Sehne und deren Verbindungsstelle zum Knochen, wodurch die Sehne nicht mehr in ihrem optimalen Spannungszustand ist und mit der Zeit anfällig für Mikroverletzungen wird. Dies ist einer der Gründe für die große Zahl der Sehnenschäden, die man häufig beobachten kann. Eine wichtige Ableitung aus dieser Erkenntnis ist, dass wir möglichst dafür sorgen sollten, dass alle Muskeln im Pferdekörper locker und (ver)spannungsfrei arbeiten dürfen.
Auch der Umgang mit muskulären Vorschädigungen wird beschrieben, was für mich ebenfalls aus der therapeutischen Sicht sehr spannend war. Hier wurde mir noch einmal besonders deutlich bewusst, wie elementar der Zusammenhang zwischen dem muskulären Zustand des Pferdes und seiner generellen Gesundheit und Funktionalität ist.
Dazwischen lockert Hannah die theoretischen Abschnitte mit philosophischen Impulsen wie zum Beispiel “Training über alles?” ab, in dem sie auf die Bedeutung der Berücksichtigung von Bedürfnissen und Individualität von Pferd und Mensch eingeht. Ein sehr schöner Gedanke von Hannah ist zum Beispiel:
“Lerne, die Reaktionen des Pferdes zu einem großen Teil mit einem liebevollen Blick zu betrachten.”
Damit bezieht sie sich auf Pferde mit vorgeschädigter Muskulatur, die schnell wieder in alte Verspannungsmuster fallen. Hier ist es besonders wichtig, nicht frustriert oder enttäuscht zu reagieren, sondern anzuerkennen, dass der Köper und das Nervensystem des Pferde lediglich “überfürsorglich” sind, um eine neue Verletzung zu verhindern. Daher ist es besonders wichtig, hier mit viel Bauchgefühl und langsam vorantastend mit dem Pferd zu arbeiten.
Äußerst spannend und heutzutage leider sehr relevant war auch der Exkurs über die Trageerschöpfung. Dabei handelt es sich um die Erschöpfung der rumpftragenden Muskulatur, deren Aufgabe es ist, den Rumpf zu halten und zu heben. Dies kann durch Überlastung, Bewegungsmangel, Übergewicht, Schmerzen oder auch einfach nur durch fehlende Liegezeiten ausgelöst werden. Neben einer tiefgehenden Beschreibung zur Erkennung der Symptome bietet Hannah auch konkrete Lösungsstrategien, um die Trageerschöpfung sowohl zu verhindern als auch zu therapieren.
Das nächste Kapitel über Faszien war ebenfalls ein Augenöffner. Ich wusste ja bereits, dass Faszien wundersame Strukturen sind – doch all ihre Funktionen waren mir bisher in dieser Tiefe nicht bekannt.
Spannend fand ich, dass mittlerweile bekannt ist, dass verschiedenste Faszien den gesamten Körper auf allen Ebenen durchziehen und so alles miteinander verknüpfen und verbinden. Alles ist von Faszien umhüllt: Nerven, Muskelfasern, Knochen, Organe, Blutgefäße. Faszien verdeutlichen somit, dass der Körper keine Ansammlung an Teilen ist, sondern ein GANZES. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist die Verbindung des Kieferbereichs über Faszienketten bis in die Hinterhufe.
Der praktische Teil
Nach diesen spannenden Erkenntnissen leitet Hannah weiter in den praktischen Teil, wo zunächst einmal die Anwendungsgebiete einer Massage erklärt werden. Besonders gefallen hat mir hier, dass immer wieder betont wird, dass es dabei um das eigene Gefühl und einen Dialog zwischen Pferd und Mensch geht – und nicht um das bloße Bearbeiten von Gewebe.
Wusstest du, dass ein Pferd sich an den Stellen kratzt oder reibt, an denen es ein körperliches Problem hat? Wir selbst reagieren ähnlich. Bei Schmerzen fassen wir uns ebenfalls an den Punkt, wo wir den Schmerz wahrnehmen. Alleine dieses Berühren der betroffenen Stelle verschafft eine Linderung des Schmerzes. Dieses intuitive Wissen macht sich auch in der Massage bemerkbar.
Der Leser bekommt außerdem interessante Techniken an die Hand, um das eigene Gefühl zu schulen, ehe man Hand an das eigene Pferd anlegt.
Weiter geht es dann mit der Erläuterung der verschiedenen Massagegriffe. Für jeden Bereich des Körpers und auch für unterschiedliche Pferdetypen gibt es dabei verschiedene Aspekte zu beachten, welche Hannah in diesem Abschnitt herausgearbeitet hat. Dabei unterstützen Fotos und Grafiken am Pferd das Verständnis, zum Beispiel über die Richtung des Ausstreichens oder den Ablauf einer Ganzkörperbehandlung. Abschließend geht Hannah noch auf die einzelnen “Hotspots” ein und gibt ganz praktische Tipps, wie diese Stellen am sinnvollsten massiert werden können.
Die Region der Nackenstrecker, welche unter dem Mähnenkamm anfangen, ist häufig verspannt und profitiert besonders von einer Massage. Viele Pferde empfinden dies als sehr angenehm, sodass man die Muskulatur dort zum Loslassen veranlassen kann. Nathan hat mich bereits einige Mal sogar regelrecht aufgefordert, ihn dort zu massieren. Ein schönes Beispiel für einen Dialog zwischen Pferd und Mensch und auch für die Wirksamkeit der Behandlung.
Mein persönliches Fazit:
Alles in allem ist das E-Book von Hannah eine spannende Komposition aus Achtsamkeit, Theorie über die physiologischen Gegebenheiten des Pferdekörpers, visuellen Veranschaulichungen, praktischer Anleitung zur Massage und vor allem einer großen Portion Feingefühl. Und genau das hebt das E-Book von Hannah aus der Masse heraus. Ganz herzlichen Dank an dieser Stelle, dafür dass wir dieses wunderbare Buch lesen durften!
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