In diesem Artikel schauen wir uns an
- warum es so schwer ist, positive Verstärkung „rein“ einzusetzen
- wie Pferde auch im positiven Training in eine emotionale Zwickmühle geraten können
- was wir tun können, um dieser Problematik zu begegnen
Ich wünsche dir ganz viel Freude beim Lesen
“Positive Verstärkung ist der einzige Quadrant, der ohne unangenehme körperliche Erfahrung und Emotionen auskommt.”
Das kam mir in den Sinn, während ich an einer Präsentation zum Thema operante Konditionierung arbeitete und schon während ich die Worte niederschrieb, stellte ich mir die Frage, weshalb mich die positive Verstärkung dann trotzdem so oft mit negativen Emotionen konfrontiert. Ganz so, als könnten wir die eine der Seite der Medaille – die Freude und Freiwilligkeit – nicht ohne die andere haben.
Und so scheint Clickertraining und die Arbeit mit Futterlob auch nicht ohne ein gewisses Aufblitzen der anderen Seite dieser Medaille auszukommen.
Stress, Erwartungen, Anspannung, die Angst, Fehler zu machen – davor sind wir allein durch die positive Bestärkung nicht bewahrt.
Zu den positiven Emotionen gehört ein bisschen mehr. Futterlob allein wird nicht immer ausreichen, um ein tief empfundenes Gefühl der Freude hervorzurufen.
Oft scheitern wir ohnehin viel früher. Nämlich dort, wo eine angenehme Erfahrung überhaupt noch möglich wäre: Am Zustand einer grundlegenden inneren Ruhe und Gelassenheit.
Mir war lange gar nicht klar, dass ich voraussetzte, dass die positiven Emotionen ganz automatisch mit der positiven Verstärkung einhergehen würden. Doch das tun sie nicht.
Ich möchte heute zumindest ansatzweise ergründen, was den positiven Emotionen so oft im Weg steht, denn ich bin überzeugt, dass unsere Pferde es verdient haben, dass wir auch die Schattenseiten hinter all dem Licht des positiven Pferdetrainings betrachten.
Ein kleiner Exkurs zur positiven Verstärkung und dem, was sonst noch mitmischt
Ich möchte den Satz vom Anfang gern erweitern, damit wir besser verstehen, woher die negativen Emotionen im Training mit positiver Verstärkung kommen können:
“Positive Verstärkung ist der einzige Quadrant, der ohne unangenehme körperliche Erfahrung und Emotionen auskommt, sofern keiner der anderen Quadranten im Training mitmischt.”
“Unangenehme körperliche Erfahrungen” sind die aversiven Reize, mit denen wir arbeiten, wenn wir negative Verstärkung oder positive Strafe.einsetzen. Ohne diese aversiven Reize haben wir keine Motivation.
Aversiv bedeutet, dass der Organismus diesen Reiz vermeiden will. Wenn es nichts gibt, das wir vermeiden wollen, dann setzen wir auch nichts in Bewegung, um unseren Zustand zu verändern.
Das gilt im Rahmen der extrinsischen Motivation (von außen, nicht aus eigenem Antrieb erfolgend) für Menschen ebenso wie für Pferde. Und es gilt solange, wie es keine erreichbaren appetitiven Reize gibt, die für Mensch oder Pferd wünschenswert wären und die anstelle der unangenehmen Reize für die nötige Motivation sorgen könnten.
Die meisten von uns würden sich wahrscheinlich überlegen, ob sie morgens noch zur Arbeit fahren, wenn sie für ihre Tätigkeit nicht mehr entlohnt werden würden. Alle anderen sind vermutlich intrinsisch motiviert und erleben eine Belohnung, die in der Tätigkeit selbst liegt.
Außer bei der positiven Verstärkung wirkt keiner der Quadranten über das Hinzufügen eines angenehmen Reizes.
Zwar führt die negative Verstärkung zu einer Erfahrung der Erleichterung, wenn der unangenehme Reiz nach der vom Menschen gewünschten Reaktion aufhört – doch was überhaupt erst zu der Reaktion geführt hat, ist die Erfahrung von Unwohlsein.
Das Gähnen – ein positives Zeichen? Im Training weist es uns vor allem darauf hin, dass in dem Moment zuvor eine Form von Stress bestand.
Somit wirkt eine Pause als Belohnung im konventionellen Training nicht aufgrund der Freude über die Pause als solche, sondern als Unterbrechung einer ansonsten unangenehmen Erfahrung.
Wie geht reine positive Verstärkung?
Nun entscheiden wir uns im Clickertraining für die appetitiven Reize, die positive Verstärkung und die hoffentlich damit einhergehenden wünschenswerten emotionalen Reaktionen.
Hier kommt der zweite Teil meiner Feststellung zum Tragen: “(…) sofern keiner der anderen Quadranten im Training mitmischt.”
Sicherzustellen, dass unser Pferd im Training nie wieder die Erfahrung von negativer Verstärkung oder positiver Strafe macht, ist gar nicht so einfach.
Wir sind fast alle Crossover-Menschen und unsere Pferde fast alle Crossover-Pferde.
Das bedeutet, dass wir die Erfahrung eines Wechsels von Training basierend auf aversiven Reizen hin zum Training basierend auf positiver Verstärkung machen.
Einen klaren Schnitt zwischen konventionellem Training und dem Umgang früher und positiven Pferdetraining heute zu setzen, wird meist unmöglich sein. Unsere Pferde erinnern sich: Sie wissen, was es bedeutet einen Reitplatz zu betreten, was auf das Einhängen der Longe folgt. Sie kennen die Folgen von mangelhafter Reaktion auf die Gerte und ahnen schon, dass ihr Mensch heute vielleicht nicht so geduldig ist, wie er es sich vorgenommen hat, bevor wir es selbst bemerken.
Training und Lernen findet nicht im Vakuum statt.
Wenn das Pferd in der Vergangenheit wiederholt Erfahrungen mit Menschen gemacht hat, die Schmerzreize zur Strafe nutzen, dann sind Menschen nicht mehr nur mit sanften Instruktionen und Streicheleinheiten verknüpft, sondern eben auch mit diesen Schmerzreizen – und dieses Wissen kann stressen.
So einen entspannten Gesichtsausdruck zeigte Nathan zu Beginn der Arbeit am Kappzaum selten. Hier durften wir ihm zuerst helfen, unschöne Erfahrungen aus der Vergangenheit zu verarbeiten.
Das Pferd weiß schließlich nicht, dass wir von nun an mit positiver Verstärkung arbeiten und es keine Gefahr läuft, sich mit Fehlverhalten eine schmerzhafte oder auf andere Art unangenehme Strafe einzufangen.
Garantieren können wir Menschen das meist auch nicht, denn wir selbst haben unsere emotionalen Reaktionen und Affekthandlungen oft weniger im Griff, als es für das reine positive Pferdetraining wünschenswert und für tief empfundene positive Emotionen auf Seiten des Pferdes notwendig wäre.
Ist unsere Überzeugung mit dem Clickertraining die richtige Wahl getroffen zu haben unter allen Umständen stark genug, um zu unserem Vorhaben zu stehen, keinen der anderen Quadranten mitmischen zu lassen?
Ehrlicherweise werden wir diese Fragen manchmal mit “Nein” beantworten müssen – das ist menschlich. Wir sind nicht perfekt. Wir können an uns arbeiten, doch auch das braucht Zeit.
Pferde in der Zwickmühle zwischen den Erwartungen
Gerade zu Beginn des Clickertrainings schicken wir unsere Pferde also in eine Zwickmühle: All ihre negativen Erfahrungen mit dem Menschen sind noch in ihrer Erinnerung. Sie wissen um mögliche Auswirkungen von falschem Verhalten. Gleichzeitig wird ihnen sprichwörtlich die Möhre vor die Nase gehalten und von ihnen erwartet, dass sie sich das Futter aktiv erarbeiten.
Natürlich ist das Mitmischen anderer Quadranten neben der positiven Verstärkung nicht der einzige Grund für ein Fehlen echter positiver Emotionen. Es ist aber eine Herausforderung, der sich fast jeder bei seinen ersten Schritten im Clickertraining stellen muss.
Wir alle möchten uns den angenehmen Seiten des Clickertrainings zuwenden. Dennoch sollten uns damit zu befassen, welche Erfahrungen unsere Pferde und wir gemacht haben, bevor wir der positiven Verstärkung so viel Raum gaben. Dazu ist es unumgänglich, dass wir uns Wissen über alle Quadranten aneignen und herausfinden, welche unserer Handlungen, unseres Equipments und Aspekte der Trainingsumgebung möglicherweise mit unangenehmen Erfahrungen verknüpft sind.
Was können wir also tun?
- zuerst gilt es, Verständnis für unser Pferd aufzubringen, das vielleicht anfangs mit übermäßiger Aktivität, “Fehlverhalten” und großeUnruhe reagiert
- selbst die Ruhe bewahren
- kleine und leichte Aufgaben suchen, die weder für den Menschen noch für das Pferd bereits negativ verknüpft sind
- intensiv mit der Lerntheorie beschäftigen
- unsere Versprechen dem Pferd gegenüber einhalten
Doch wenn wir diesen Ort der Gelassenheit in uns gefunden haben, dann können wir unseren Pferden auf die bestmögliche Weise helfen, den Übergang zur positiven Verstärkung zu meistern.
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