“Behandle andere so, wie du selbst behandelt werden willst” und “Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu”. So sinnvoll und wichtig diese goldene Regel auf den ersten Blick erscheinen mag, hatte ich doch immer meine Probleme mit diesem Rat. Wenn ich dich so behandle, wie ich behandelt werden will, dann setze ich damit voraus, dass du und ich uns gleichen. Dass wir uns die gleiche Behandlung wünschen, dieselben Bedürfnisse haben und dass es in unseren Empfindungen keine Unterschiede gibt.
Ich nehme an, dass du bist wie ich – statt zu fragen, wie du wirklich bist.
Vielleicht rede ich laut und lache schallend, weil das für mich normal ist, während du dich von meinem Lärm überfallen fühlst. Oder ich umarme dich, während du eher Abstand schätzen würdest. Ähnlich müssen sich die Pferde vorkommen, wenn wir unsere Theorien über sie aufstellen. Wenn wir überzeugt sind, wir wüssten was sie brauchen und was sie wollen und glauben sie zu kennen, bevor wir dem Pferd als Individuum je begegnet sind, mit Offenheit und Akzeptanz und einem Blick für Details.
Vielleicht behandeln wir die Pferde nicht so, wie wir selbst behandelt werden wollen. Wir wollen niemanden tragen, außer vielleicht schlafende Babys, wollen nicht im Kreis laufen müssen, wenn es heiß und staubig ist und die Fliegen nicht von uns ablassen. Wollen nicht, dass jeder unserer vermeintlichen Fehler korrigiert wird. Und selbst wenn wir etwas davon wollen oder müssen, dann legen wir Wert auf die Umstände, auf kleinere und größere Details unserer eigenen Entscheidungen.
Vielleicht behandeln wir die Pferde so, wie wir glauben, dass sie behandelt werden wollen. Oder, und diese Möglichkeit scheint mir die stärkste, wie wir glauben, dass sie behandelt werden sollen (in diesem Artikel geht es um das Loslassen dieser Erwartungen).
Wir lassen uns lenken von Überzeugungen und Gewohnheiten, die älter sind als wir selbst und uns den Blick versperren, nicht weil sie falsch sind, sondern weil sie weder von uns stammen, noch von unserem Pferd.
Wir können fragen, was wir mit Pferden tun dürfen. Doch welche Antwort auf diese Fragen hat einen Wert, nicht nur als Handlungsanweisung für uns, sondern für das Wohlergehen des Pferdes?
Es kann nur die ehrliche Antwort sein, die vom Pferd selbst stammt
Ich kann meine Frage an zehn Pferdemenschen richten und sie werden mir zehn verschiedene Antworten geben. Sie werden dabei ihre Meinung, basierend auf ihrer Erfahrung, ihren Überzeugungen und Theorien offenbaren. Vielleicht wird ihre Antwort auf der Antwort ihrer Pferde basieren. Doch selbst in diesem günstigsten Fall kann die Antwort das Gegenteil von dem sein, wie mein Pferd in diesem Moment behandelt werden möchte.
Es liegt ein unschätzbarer Wert in dem Versuch, andere so zu behandeln, wie sie behandelt werden wollen.
Wenn wir unsere Handlungen dabei auf den ehrlichen Versuch stützen, unser Gegenüber zu erkennen und uns an dessen Reaktionen zu orientieren. Dieser Versuch öffnet die Tür zu Wertschätzung und gegenseitiger Rücksichtnahme.
Vielleicht ist es Zeit für eine neue goldene Regel.
“Behandele andere so, wie sie behandelt werden möchten”
oder “Was du nicht willst, das man dir tut, das füg’ ich dir nicht zu”. Vielleicht erscheint das kompliziert – und das ist es. Aber nur, solange wir nicht bereit sind ehrlich zu sein, mit uns und mit anderen. Nur solange wir nicht bereit sind, unseren Pferden die Freiheit zu lassen, ehrlich zu antworten.
Nur solange wir nicht bereit sind, die Wahrheit zu ertragen und unser Handeln an den individuellen Bedürfnissen unseres Gegenübers auszurichten.
Wenn du deinem Pferd die Wahl lassen würdest, was würde es lieber nicht tun? Und woran liegt das?
Wie hat dir dieser Post gefallen?
4.4
Schade, dass dir dieser Post nicht gefallen hat.
Hilf uns, unseren Blog zu verbessern.
Was hättest du dir gewünscht? Welche Frage ist unbeantwortet geblieben?
4 Comments
Wieder so ein toller und inspirierender Artikel.
Liebe Grüße
Miriam
Ich danke dir für deine lieben Worte! 🙂
Das finde ich eine sehr spannende Überlegung. Denn diese moralischen Vorgaben gehen ja tatsächlich erstmal davon aus, dass man den Gegenüber nicht fragt, wie er behandelt werden möchte.
Und gerade dieses Öffnen der Kommunikation ist es doch, was uns so viele Wege zeigt, die wir vereinbar mit unseren moralischen Grundsätzen gehen können.
Sehr schöne philisophische Betrachtung!