Hast du Angst, dass dein Pferd sich auf dem Spaziergang losreißen könnte? Dass es dich in seinem Übermut in der Freiarbeit verletzen könnte? Dass seine Anspannung zu Aggression wird?
Du bist damit nicht allein. Die Angst vor dem Pferd ist der treue Begleiter so vieler Pferdemenschen, mit denen wir zusammenarbeiten und diese Themen anschauen dürfen.
Und vielleicht überraschend:
Die Angst ist NICHT das Problem, sondern die Lösung.
Das Problem mit dem herkömmlichen Umgang mit der Angst
Jede Emotion hat eine Aufgabe für uns. So auch die Angst.
Die Angst an sich ist nicht das Problem. Deshalb hilft es auch nicht, sie zu unterdrücken. Auch wenn es das ist, was wir schon in jungen Jahren als Reitschüler gelernt haben. Stattdessen wird sie häufig im Laufe der Zeit noch stärker, weil man die Erfahrung macht, dass die beängstigende Situation tatsächlich nicht sicher ist. Dass das Pferd sich tatsächlich losreißt, tatsächlich bockt, einen tatsächlich ansteigt.
Für dein Gehirn macht es dabei kaum einen Unterschied, ob das Pferd dieses Verhalten durchzieht oder nur andeutet. Eigentlich muss das Pferd gar nichts machen. Es reicht, wenn du selbst die Situation als gefährlich einschätzt, um deine Angst in die Höhe schnellen zu lassen.
Doch Angst ist mehr als Herzklopfen und Schweißausbrüche und unser Umgang mit ihr kann nuancierter und kompetenter sein, als Augen zu und durch. Dazu müssen wir der Aufgabe nachkommen, die die Angst für uns hat.
Was deine Angst dir sagen will
Stell dir folgende Szene vor: eine junge Frau geht durch eine dunkle Gasse. Es ist Nacht. Sie torkelt auf ihren High Heels. Plötzlich treten am Ende der Gasse zwei kräftige Gestalten aus der Dunkelheit. Man hört sie böswillig lachen.
Jetzt stell dir nochmal die gleiche Szene vor. Aber diesmal wechseln wir den Charakter.
Du siehst ebenfalls eine junge Frau, aber jetzt weißt du, dass sie Geheimagentin ist, die schon unzählige kräftige Typen zu Fall gebracht und zudem bis an die Zähne bewaffnet ist. Da tun auch die High Heels keinen Abbruch. Und getrunken hat sie heute Abend auch nicht, schließlich ist sie nicht zum Spaß hier.
Bei welcher Szene schreit deine Angst empathisch “Stopp, dreh um! Bring dich in Sicherheit!”? Und wo bist du eher gespannt, wie die Frau mit diesen Gestalten fertig werden wird?
Angst warnt nicht einfach vor Gefahren!
Angst sagt: Dir fehlen wichtige Ressourcen und Fähigkeiten, um diese Situation sicher zu meistern.
Wenn du voll ausgestattet bist, mit dem Wissen, der Erfahrung, dem Equipment – mit allen inneren und äußeren Ressourcen, die es braucht, um eine Situation zu meistern, dann hast du vielleicht auch etwas Herzklopfen, aber du wirst gezielt und kompetent handeln können – Angst wird dich nicht überwältigen, dich nicht lähmen und nicht in Panik umschlagen. Du bist eine Geheimagentin, die es locker mit der Gefahr aufnehmen kann.
Was die Angst für dich tun will
Um das auf die Situationen mit deinem Pferd zu beziehen, die dir Angst machen:
Bist du in diesen Situationen Geheimagentin? Oder bist du angetrunken, auf High Heels und ohne die geringsten Kenntnisse in Selbstverteidigung in einer dunklen Gasse unterwegs?
Wenn zweiteres der Fall ist, dann ist Angst dein bester Schutz – wenn du auf sie hörst.
Denn Angst lässt dich innehalten. Sie stoppt dich vor dem Abgrund. Deshalb empfinden wir Angst oft als lähmend.
Beim Pferd kann das ganz praktisch so aussehen:
Die Anspannung in dir oder deinem Pferd steigt und du schaffst Raum dafür, zu entspannen und wieder runterzukommen.
Die Umgebung verändert sich auf eurem Ausritt und du fokussierst dich, um deinem Pferd eine Stütze sein zu können.
Dein Pferd bockt und steigt in deiner Nähe und du brichst das Training ab.
Es ist windig und du entscheidest, nicht ausreiten zu gehen, sondern nur einen Spaziergang zu machen.
Das alles tun wir, wenn wir eine gesunde Beziehung zur Angst haben. Denn es ist nicht einfach “nur Angst”. Man muss da nicht einfach durch!
Angst lässt dich innehalten und bemerken, dass eine Situation besondere Anforderungen an dich stellt. Wie du mit dieser Situation umgehst, hängt von deinen Fähigkeiten und Ressourcen ab.
Was die Angst für dich bereithält
Die Angst selbst hat nicht nur eine Aufgabe für dich und hilft dir, diese Aufgabe zu erkennen – sie unterstützt dich auch dabei, die Aufgabe zu bewältigen.
Zum Umgang mit ängstlichen oder aufgeregten Pferden lernen wir vor allem eines: Dass wir selbst ruhig bleiben und das Pferd beruhigen müssen.
Das heißt im Klartext: Nimm die Energie deiner Angst und schmeiß sie weg. Lass dir bloß nichts anmerken!
Das KANN so schiefgehen! Es führt dazu, dass wir uns unseren Pferden gegenüber unauthentisch verhalten. Was die Pferde natürlich bemerken und was ihre Anspannung noch weiter steigert.
Angst schenkt dir Energie. Diese Energie kannst du nutzen, um dich und dein Pferd aus dieser Situation zu bringen. Dabei solltest du dich im Sinne deines Pferdes verhalten. Zwinge dein nervöses Pferd z.B. nicht, stehenzubleiben, sondern fokussiere dich und trete bestimmt den Heimweg an.
Nutze deine Energie für eindeutige Entscheidungen und Anweisungen.
Wenn es nicht darum geht, euch aus einer Situation rauszuholen, dann lass dich von dieser Energie wachrütteln.
Was ist gerade die Gefahr? Welche Ressourcen und Fähigkeiten fehlen dir, um hier sicher zu bestehen?
Überschüssige Energie baut dein Körper übrigens durch Zittern und Bewegung ab. Erkenne diesen Prozess als kompetenten Umgang mit deinen Emotionen und lass dich darauf ein, statt ihn als Zeichen deiner Angst oder deiner Schwäche misszuverstehen. Unterdrücke diese Zusammenarbeit von Körper und Psyche nicht.
Angst lässt dich erkennen, wann du dir für eine Situation erst Geheimagentinnen-Fähigkeiten zulegen musst, um dich in ihr sicher zu fühlen. Angst lässt dich innehalten und verschafft dir Zeit, wenn du im Begriff bist, dich in Gefahr zu bringen. Angst gibt dir Energie, um mit den hohen Anforderungen gefährlicher Situationen umzugehen.
Angst an sich ist NICHT das Problem. Sie ist die Lösung.
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