Ein Jungpferd auf dem Weg zu einem erwachsenen, selbstbewussten und dem Menschen zugewandten Freund zu begleiten, ist herausfordernd. Dieser Artikel gibt eine Übersicht über die Welt des achtsamen Jungpferdetrainings:
- Bis wann ist ein Pferd ein Jungpferd?
- Mythos Meilensteine – oder: Vom Druck der anderen
- Ab wann darf ich mit meinem Jungpferd starten?
- Vom Sinn und Unsinn eines Trainingsplans
- Was macht achtsames Jungpferdetraining aus?
Ich wünsche dir ganz viel Freude beim Lesen!
Bis wann ist ein Pferd ein Jungpferd?
Ein häufiger Diskussionspunkt, auf den ich eine uneindeutige Antwort habe. Denn wie so oft, kommt es drauf an…
Viele sagen, dass die Jungpferde-Phase nach der Remontenzeit im Alter von drei bis vier Jahren endet, weil die meisten Pferde innerhalb dieser Zeitspanne eingeritten werden. Altklassische Reitlehren hingegen sprechen teilweise bis zum Alter von 6 Jahren vom Jungpferd.
Rein von der anatomischen Entwicklung ist dies auch zutreffender.
Das Schließen der Wachstumsfugen sowie der vollständige Zahnwechsel vollziehen sich etwa bis zum 6. Lebensjahr. Die Entwicklung verläuft von unten nach oben, das bedeutet dass sich die Beinwachstumsfugen zuerst schließen, dann die Wirbelsäule.
Das Becken besipielsweise ist erst mit 3-4 Jahren vollständig verwachsen. Vor diesem Alter besteht es aus zwei getrennten (!) Hälften, die erst noch miteinander verwachsen müssen. (Siehe dieses Video).
Diese getrennten Beckenhälften werden bei vielen Pferde leider bereits deutlich vor 3 Jahren regelmäßig großer Belastungen ausgesetzt, z.B. dadurch, dass sie in hohen Gangarten longiert und auf gebogenen Linien trainiert werden. Diese Tatsache sollte uns zu denken geben.
Heißt das nun, dass man ein Pferd nicht vor 6 Jahren trainieren darf?
Nein. Es heißt lediglich, dass wir uns Gedanken darüber machen sollten, wie ein verantwortungsvolles Training auszusehen hat.
Verantwortungsvolles Training beginnt damit, auf die körperliche Entwicklung einzugehen. Dazu gehört zum Beispiel, die regelmäßige Arbeit auf gebogenen Linien nicht vor 3,5 Jahren zu beginnen. Oder auch, dass man auf hohe Geschwindigkeiten innerhalb dieser Linien sowie enge Volten und Arbeit in Richtung Versammlung auf die Zeit ab 4-5 Jahren verlegt.
Jede schiefe Belastung der Gelenke, jedes Ziehen an den jungen Sehnen und jeder zu enge Kreis, den wir dem Pferdekörper ersparen, kostet uns nichts – und beschenkt uns dafür im hohen Alter mit Gesundheit, Bewegungsfreude und Lebensqualität.
Wir haben doch keine Eile – geben wir den jungen Körpern also die Zeit, die sie individuell benötigen.

Unsere wundervolle Schülerin Anna zeigt hier wie achtsame Jungpferde-Basisarbeit aussehen kann: Große Linien, feine Hilfengebung und ein freies vorwärts. Schulen der Balance. Nicht spektakulär – aber die Basis für eine langfristig gesunderhaltende Ausbildung sowie eine vertrauens- und liebevolle Beziehung.
Ich empfehle dir unbedingt auch die Lektüre dieses Artikels der lieben Valerie, die als Physiotherapeutin tätig ist: Vom Fohlen zum Reitpferd in nur 3 Jahren
Obwohl es körperlich gut erforschte Entwicklungsstufen gibt, sollten wir auch den psychischen Aspekt des Jungpferde-Daseins nicht vergessen:
Nicht jedes Pferd ist mit 5, 6 oder selbst 7 Jahren erwachsen. Manche Pferde würde ich auch ohne zu zögern mit 10 oder 11 Jahren noch als „Jungpferd“ bezeichnen. Umgekehrt mag es sein, dass ein 3 jähriges Pferd bereits die mentale Reife eines erwachsenen Pferdes erlangt hat – hier gilt es dann die körperliche Reife nicht außer Acht zu lassen, auch wenn das Pferd sich „anbietet“.
Mythos Meilensteine: „Jetzt solltest du aber langsam mal…“
Ich sehe es als sehr kritisch an, dass nicht nur den Jungpferden körperlich in so wichtigen Entwicklungsstadien bereits extrem viel zugemutet wird, sondern auch die Besitzer:innen unter massiven Druck gebracht werden.
Die Liste ist lang:
- Spaziergänge am besten schon mit dem Fohlen
- Gebissgewöhnung mit 2 Jahren
- regelmäßige Bodenarbeit
- Sattel und Pad mit 3 Jahren
- Longieren + Konditionsaufbau
- Anreiten mit 3,5 Jahren
Vielleicht hast auch du schon mal nett gemeinte Kommentare der Sorte „So alt ist der/die schon? Jetzt müsstest du den/die aber langsam mal ins Training nehmen oder? Sonst wird das ja nie was mit dem anreiten.“
(Mal ganz davon ab, dass ich es wunderlich finde, dass scheinbar jedes Pferd angeritten werden „muss“?)
Manchmal frage ich mich wirklich: Gibt es fürs Anreiten oder das Jungpferdetraining generell etwa ein Verfallsdatum?
Ich kann aus eigener Erfahrung dagegen halten, dass ein Pferd, welches mit 3 oder 4 Jahren noch hauptsächlich sein Jungpferde-Leben in der Herde ohne viel menschliche Ansprache genießt, NICHT schwieriger zu handeln sein wird, als der Jährling, der bereits regelmäßig mit anderen Pferden auf ausgedehnte Handpferderitte mitgenommen wird.
Ganz im Gegenteil.

Lasst uns den Leistungsgedanken loslassen, statt ihn auf die Pferde zu projizieren.
Für ein Pferd sind Zeit in der Herde und Geduld die Schlüsselkomponenten seiner Entwicklung, damit es erstmal zu sich selbst finden kann, ehe wir es mit Anforderungen konfrontieren. Wie schnell oder langsam dieser Prozess geht, gibt nicht der Mensch vor, sondern das Pferd!
Die Frage ist nicht „Macht man das so?“ sondern „Was braucht mein Pferd wirklich?“.
Dazu mehr im nächsten Abschnitt.
Ab wann darf ich mit meinem Jungpferd starten?
Die Frage: „Ab wann darf ich starten?“ könnte genauso gut auch heißen „Sind alle Pferde gleich?“.
Soll heißen, es gibt meiner Meinung nach keine festen Altersgrenzen. Es kommt letztlich immer auf die individuelle Mixtur an:
- Charakter des Jungpferdes
- seine körperliche Reife,
- inneren Ressourcen,
- die begleitenden Umstände
- und natürlich auch auf die Fähigkeiten des Menschen.
Von den Aktivitäten abgesehen, die nicht VOR einem bestimmten Alter geschehen sollten (wie geritten werden, regelmäßig longiert und in Biegung trainiert werden) sehe ich keine Grenzen für das, was man mit einem jungen Pferd bereits erarbeiten kann.
Für den Beziehungsaufbau eignen sich vor allem Aktivitäten, bei denen Pferd und Mensch sich kennenlernen können.
Wie reagiert mein Gegenüber? Was bedeutet dieser oder jener Ausdruck? Oftmals passiert das ganz natürlich z.B. im Rahmen von Spaziergängen. Aber auch im kleinen Rahmen – im Alltag. Auch dort gilt es gemeinsam Herausforderungen zu meistern und die Grenzen des Gegenübers kennenzulernen.
Was schon beim Holen vom Paddock beginnt, setzt sich in der Art und Weise wie wir das Pferd führen, wie viel Freiraum wir ihm gestatten und welche Grenzen es kennenlernen darf, fort.
Das Pferd lernt uns kennen – und leitet daraus Schlussfolgerungen über das generelle Zusammensein mit uns und mit Menschen allgemein ab. Eine machtvolle Tatsache, die für viele Probleme aber auch Geschenke verantwortlich ist.
Dafür muss ein Pferd keine bestimmte Altersgrenze erreicht haben, sondern lediglich einen erwachsenen und verantwortungsvoll handelnden Menschen an seiner Seite haben, der darauf achtet, die Situation altersgerecht zu gestalten.
Besonders die Alltagsrituale sollte man dem jungen Pferd geduldig erklären und festigen, damit es im späteren Leben nicht immer wieder zu nervenaufreibenden Situation beim Hufschmied oder Tierarzt kommt.
Später kann man sich der spielerischen Bodenarbeit, Freiarbeit und auch der ersten gymnastizierenden Bodenarbeit zur Vorbereitung auf das spätere Reitpferdeleben widmen.
Höre also statt auf die Meinungen anderer auf DEIN Bauchgefühl und frage dich:
Ist es jetzt an der Zeit, mein Pferd ans Anbinden und Putzen zu gewöhnen?
Macht uns Platzarbeit jetzt schon viel Spaß und kann ich so für Abwechslung sorgen?
Zieht es uns eigentlich schon die ganze Zeit beide raus ins Gelände?
Oder ist das, was wir am meisten brauchen gerade, einfach nur Zeit miteinander zu verbringen…
Wir haben einen Satz, den wir immer wieder im Rahmen unserer 1:1 Begleitungen sagen:
Du wirst es wissen, wenn es soweit ist.
Also geh mutig los und vertraue auf dich und auf dein Pferd.

Selbst große Meilensteine wie Reiten lassen sich spielerisch, leicht und sogar ganz „nebenbei“ erarbeiten, wenn die Basis stimmt.
Trainingsplan für ein Jungpferd: Vom Sinn und Unsinn
Struktur: Ja.
Sich Druck aufbauen oder von anderen einreden lassen: Nein.
Eine gewisse Struktur und Vorhersehbarkeit sind für junge Pferde wichtig.
Sorgfältig aufgebaute Routinen können das spätere Pferdeleben extrem vereinfachen.
Jedoch darf es nicht Sinn und Zweck der Sache sein, dass Jungpferdebesitzer:innen sich den Kopf zermartern, wie sie ihre Pferde in der Frühförderung optimal auslasten und den Stundenplan möglichst vollstopfen können (ich ziehe hier bewusst Parallelen zu menschlichen Kindern).
Jedes Pferd ist anders und – ebenfalls wichtig – auch wir Menschen dürfen dabei mitentscheiden, was getan oder gelassen wird.
Unsere Bedürfnisse und Grenzen bilden jederzeit den Rahmen für unser Tun – nicht die Projektionen und Erwartungen von Miteinstellern.
Es kann außerdem Sinn machen, sich vorab die „Must-haves“ genau zu überlegen und dafür einen Plan auszuarbeiten, wie diese erarbeitet werden können.
Ansonsten hilft es auch sich eine „Can-have“ Liste zu machen und dort all die Dinge aufzulisten, die zwar schön wären, aber nicht essenziell sind. Dadurch hat es das menschliche Gehirnchen leichter, nicht das wichtige mit dem angenehmen zu vertauschen ;).
Der Sinn eines Trainingsplanes besteht also darin, wertvolle Ressourcen auszubauen, die es dem Pferd später leicht machen, sich in der menschlichen Welt zurechtzufinden.
Ein minutiös getakteter Plan, der dem Jungpferd schon jetzt den Leistungsgedanke einbrennt? Da sollten die Alarmglocken schrillen.
Das macht achtsames Jungpferdetraining wirklich aus:
Die Antwort auf die Frage: Was für ein Bild vermitteln wir dem jungen Pferd von seinem Leben und dem, was es von Menschen zu erwarten hat?
Spätestens wenn kein Platz mehr dafür bleibt, einfach mal herumzualbern, auf der Weide zu sitzen und die Seele baumeln zu lassen, wissen wir: Wir haben uns verrannt.
Was neben all den Verhaltens- und Trainingszielen oft vergessen wird ist, dass es nicht nur um äußerlich sichtbare Meilensteine geht, sondern noch viel viel wichtiger um innere Meilensteine. Also um das, was IM Pferd reifen und gedeihen soll.
- Überzeugungen, die das Pferd von uns Menschen hat
- Überzeugungen, die das Pferd über sich selbst entwickelt
- Erlebt es sich selbst als kompetentes Wesen?
- Kann es seine Stärken erfahren?
- Erlebt es bedingungslose Zuneigung, auch ohne Gegenleistung?
Vergiss neben all den “du musst dies und das” also niemals, dass es ganz besonders mit einem jungen Pferd darauf ankommt, eine innerliche Basis, einen starken Kern gedeihen zu lassen und diesen zu beschützen.
Nur so kann eine gesunde, starke und prächtige Beziehung zwischen euch beiden gedeihen.
JA man kann ein junges Pferd zu einem starken, selbstbewussten und autonomonem Wesen heranziehen OHNE dass man nachher einen gefährlichen Beißer oder einen lustlosen Verweigerer hat.
Ganz im Gegenteil, sind solche Pferd am Ende des Tages die sichersten, kooperativsten und sanftesten Freunde, WEIL sie wissen dass sie gehört werden. Weil sie ein Versprechen von uns erhalten haben, das wir einhalten. Weil sie unseren Schutz genießen dürfen.
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