Trotz Corona-Einschränkungen steht bei uns gerade viel an und ich merke, wie mir all die zu erledigenden Aufgaben im Nacken sitzen. Und obwohl ich ganz genau weiß, dass ich sie nicht alle in kürzester Zeit abarbeiten kann, um wieder „frei“ zu sein, war das doch unterbewusst mein Ziel. Abends saß ich dann da: Müde, schlecht gelaunt und gefühlt noch immer mit dem gleichen Druck im Nacken. Bis mir dann dieser Satz in den Sinn kam:
Jeder Tag ist ein Marathon, kein Sprint.
Für mich ist jeder Tag eine Wanderung.
Eine Wanderung, auf der man Pause machen, die Aussicht genießen, sich phasenweise sehr anstrengen und abends zufrieden ins Bett fallen darf. Da gewittert es auch mal oder die Sonne prallt einem auf den Kopf, aber dann passt man die Strecke eben an, geht langsamer und kommt schlussendlich doch ans Ziel.
Ich glaube, dass wir nicht nur jeden Tag aus diesem Blickwinkel betrachten können, sondern auch unsere Entwicklung mit unseren Pferden.
Wir können diese Entwicklung wie einen Sprint angehen. Wir können eine Lektion nach der anderen jagen, unsere Leistungen von gestern stets übertreffen wollen, uns in einen Wettkampf mit anderen begeben und am Ende erschöpft und weit entfernt von uns selbst und unserem Pferd an einem Punkt ankommen, an dem wir erkennen, dass enthusiastische Freude nicht mit Zufriedenheit gleichzusetzen ist.
Wenn wir unsere Entwicklung wie einen Sprint angehen, und aufs Gewinnen aus sind, dann stellt sich die Frage, was es zu gewinnen gibt. Was haben wir davon, eine Lektion erarbeitet oder im Vergleich mit einem anderen Pferd-Mensch-Team besser abgeschnitten zu haben? Wieso ist das so wichtig?
Das hier ist eine Einladung:
Ich lade dich dazu ein, einmal alles zu hinterfragen, was du denkst mit deinem Pferd (oder auch sonst in deinem Leben) tun zu müssen. Und wenn du etwas gefunden hast, was du wirklich tun musst, dann frage erneut. Wirklich? Warum? Kannst du dir nicht doch einen anderen Weg vorstellen?
Schneller ans Ziel?
Wir kommen nur vermeintlich schneller ans Ziel, indem wir uns spurten. Manchmal hechten wir dabei einfach nur den falschen Berg hinauf und erkennen erst wenn wir oben stehen, dass die Aussicht nicht dem entspricht, was wir erwartet hatten.
Solange wir jedoch gewohnt sind, schnell voranzukommen, wird sich jeder bedachte Schritt viel zu langsam anfühlen – ganz gleich, ob er in die richtige Richtung geht oder nicht. Also dürfen wir zuerst die Langsamkeit wieder wertschätzen. Ja, Langsamkeit.
Wann hast du das letzte Mal etwas (ganz bewusst) langsam gemacht, ohne dich zu beeilen, ohne gedanklich schon bei der nächsten Aufgabe zu sein?
Wir dürfen der Stille und auch der Stagnation Raum geben. Vielleicht wird es sich anfangs wie verschwendete Zeit anfühlen, sich einfach zum Pferd zu setzen und NICHTS zu tun. Kein Ziel zu verfolgen. Einfach mal die Gedanken schweifen zu lassen, um dann ganz langsam in Bewegung zu kommen. Vielleicht wird es sich total komisch anfühlen, den Fokus im Training mal auf ein einzelnes simples Detail zu legen und all unser Herz dort hinein zu legen.
Aber stell dir vor, wie sich all diese vollendeten Kleinigkeiten schließlich aufsummieren, wie sie dein Sein und dein Handeln verändern – mit jedem Tag ein Stückchen mehr. Es sind Kleinigkeiten, die wir mit Liebe zum Detail gelernt und uns zur Gewohnheit gemacht haben, die schließlich das Fundament unseres Erfolgs bilden.
Von Langsamkeit und Liebe
Etwas langsam und mit Bedacht zu tun, gibt uns erst die Möglichkeit, es wirklich mit Liebe zu tun. Wenn wir etwas bewusst langsam tun, dann wird es viel leichter, ganz da zu sein. Ganz bei unserer Aufgabe.
In einer Gesellschaft, die von Fortschritt und Schnelllebigkeit geprägt ist, dürfen wir mit unseren Pferden einen Anfang machen. Zurück dorthin, wo wir den Sinn im Jetzt und nicht im Morgen leben. Dorthin, wo wir uns im Moment und nicht in unserem Streben entfalten.
Unsere Pferde werden es uns danken, wenn wir ihnen mit unserer Zeit und unserer bewussten Anwesenheit unsere Wertschätzung und unseren Respekt entgegenbringen. Wenn wir zu ihnen kommen, um ganz bei ihnen zu sein.
Langsamkeit ist gelebte Wertschätzung. Wertschätzung des Lebens. Wertschätzung aller Begegnungen und Geschenke.
Langsamkeit hält uns nicht zurück. Sie erlaubt uns, ein Leben zu führen, statt ein Leben zu haben, das an uns vorbeirauscht.
Welchen Dingen, Wesen oder Aufgaben in deinem Leben möchtest du in nächster Zeit deine Wertschätzung entgegenbringen, indem du ihnen mit Langsamkeit begegnest?
Als ich klein war, hat mein Vater auf die „Papa, du musst XYZ“-Quengeleien seiner Kinder gern mit: „Ich muss nichts, außer sterben“ reagiert (was ihn jedoch selten davon abgehalten hat, einem unserer Wünsche nachzukommen 😉 ). Soweit ist das auch gar nicht mal verkehrt.
Aber bis wir sterben, müssen wir leben. Und dieses Leben müssen wir füllen. Wir tun es so oder so. Aber man bekommt mehr davon mit, wenn man das langsam tut. Wie eine Wanderung. Die macht man auch nicht, um am Ende auf dem Gipfel zu stehen, sondern wegen all der Schmetterlinge, des Vogelgezwitschers, der Felsformationen, der Bachläufe und der Gespräche mit Herzensmenschen, die man sonst verpassen würde.
Wie hat dir dieser Post gefallen?
4.6
Schade, dass dir dieser Post nicht gefallen hat.
Hilf uns, unseren Blog zu verbessern.
Was hättest du dir gewünscht? Welche Frage ist unbeantwortet geblieben?
4 Comments
Hallo Anni !
Ein sehr schöner Artikel, das Bild der Wanderung gefällt mir richtig gut 🙂
Ich finde auch , dass das Leben eher eine Wanderung mit all den schönen Kleinigkeiten sein sollte , anstatt ein Sprint , bei dem man achtlos an alles voebei rennt !
Vielen Dank dafür !
LG Silke
Hallo liebe Silke,
ich danke dir für deine lieben Worte und es freut mich, dass dir der Artikel geholfen hat!
Alles Liebe,
Anni
Dieser Beitrag kommt gerade wie gerufen. Mit Parcival stecke ich gerade fest. Wir haben die Diagnose Spat bekommen und damit die Aufgabe ihn zu bewegen. Er muss nun also etwas tun laut Tierärztin. Bisher gab es kein Muss in seinem Leben. Ich will natürlich, dass er lange gesund bleibt und mach mir selber einen unheimlichen Druck wie ich ihn in Bewegung bekomme. Und was macht mein Pony? Er macht nicht mit. Typisch Parcival verweigert er sich meinem Druck komplett. Und das schlimmste was uns bisher in keiner Schwierigkeit passiert ist, mit meiner inneren Panik möglichst schnell Muskeln aufzubauen, ist er aus der Beziehung gegangen. Mein Pony redet nicht mehr mit mir. Er macht brav was ich will, aber extrem unmotiviert. Nun gibt es eine Pause. Das mag seinen Muskeln nicht helfen, aber ich hoffe unserer Beziehung. Ich wollte so gern schnell ans Ziel, damit er möglichst lange gut mit seiner Krankheit leben kann. Aber das ist dann eben doch nicht der Weg. Langsamkeit ist hier auch das Thema und mir fällt es so schwer. Bin ich doch so ein Hibbel.
Liebe Grüße
Miriam