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Leitfaden für Freiarbeit auf Augenhöhe mit dem Pferd – Ideen und erste Schritte

In diesem Leitfaden zeigen wir dir die ersten Schritte der Freiarbeit und geben dir Ideen für die Freiarbeit mit deinem Pferd, die auf Freiwilligkeit und gegenseitiger Achtung basieren. Der Artikel gibt dir alles an die Hand, was du dazu wissen solltest und wird nach und nach durch weitere Fachartikel ergänzt.
 

Der Einstieg

 

Das Mindset

 

Die praktische Anwendung

 
 

Was ist Freiarbeit?

Unter den Begriff Freiarbeit fällt das Trainingsgeschehen aus unserer Sicht, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind:

  1. das Pferd ist physisch nicht durch ein Seil an den Menschen gebunden
  2. das Pferd kann die Mitarbeit verweigern, ohne unangenehme Konsequenzen zu fürchten.

Demnach wird vieles als Freiarbeit bezeichnet, das wir nicht als Freiarbeit ansehen würden, z.B. wenn dem Pferd so lange Druck gemacht wird, bis es sich dem Menschen zuwendet.

Wenn wir über die entsprechende Technik verfügen, können wir ein Pferd ohne Seil ebenso zu verschiedensten Verhaltensweisen zwingen, wie mit Seil. Für uns handelt es sich erst dann um Freiarbeit, wenn wir auf diese Möglichkeiten verzichten. Dazu müssen wir ehrlich mit uns selbst sein: Reagiert das Pferd deswegen so gut, weil wir es zuvor lange an Halfter zu Strick trainiert haben und es vielleicht noch gar nicht realisiert hat, dass es jetzt auch weggehen könnte? Oder holen wir das Pferd so konsequent immer wieder zu uns, wenn es weggelaufen ist, dass es praktisch keine Möglichkeit mehr sieht, die Mitarbeit zu verweigern?

Wenn wir Freiarbeit machen wollen, dann müssen wir dem Pferd auch einige Freiheiten zugestehen.

Ansonsten handelt es sich um Freiheitsdressur, die uns keinen Aufschluss darüber gibt, wie gern das Pferd am Training teilnimmt.
 


Mehr über unsere Form der beziehungsfördernden Freiarbeit erfährst du in diesem Artikel: Freiwilligkeit, Freundschaft & Freiheit


 
 

Warum sollte ich Freiarbeit machen?

In der Freiarbeit können wir ungeschönt wichtige Informationen über das Wesen des Pferdes und seine Meinung zum Training gewinnen – denn das Pferd ist nun auch in dem Sinne befreit, als dass es uns diese Informationen mitteilen kann, ohne eine Strafe befürchten zu müssen. Es kann Vorschläge machen, aber uns ebenso zeigen, dass es gar keine Lust hat, etwas mit uns zu machen.

Wir können erkennen, inwieweit es Trainingsinhalte bereits verstanden hat, wenn wir diese ohne Hilfe von weiterem Equipment abfragen.

Wir lernen, auf dem schmalen Grad zwischen Über- und Unterforderung zu balancieren, uns an die Vorlieben des Pferdes anzupassen und dem Pferd mehr Raum zur freien Entfaltung zu geben.

Unsere Körpersprache verfeinert sich, weil wir zu einem großen Teil auf sie angewiesen sind. Schließlich sind wir auch in unserem restlichen Training weniger abhängig von zusätzlichen Hilfsmitteln, weil wir uns in der Freiarbeit mit der Frage beschäftigt haben, wie wir uns Trainingsinhalte ohne diese Hilfsmittel erarbeiten können.

Außerdem entwickelt sich unser Umgang mit uns selbst. Wir nehmen unsere Erwartungen an unser Pferd, das Trainingsgeschehen und den Trainingserfolg viel stärker wahr – weil sie nicht mehr so oft einfach erfüllt werden.

Wir werden geduldiger, weil wir unser Pferd nicht mehr einfach drängen können, etwas trotzdem zu tun. Unsere Achtsamkeit und Empathie werden gestärkt, weil wir uns in das Pferd hineinversetzen müssen, um sein Verhalten zu verstehen.

Wir stehen vor der Aufgabe, unser Training so anzupassen, dass das Pferd gern und freiwillig daran teilnimmt. Eine Herausforderung, die uns wie kaum eine andere zu besseren (Pferde)Menschen macht.

 


Wie das am Anfang ganz praktisch aussehen kann, zeigt dieser Artikel: Das kleinste Angebot – Eine Übung, um Pferd zu motivieren.


 
 

Was braucht man für die Freiarbeit?

Für die Freiarbeit brauchst du einen sicher umzäunten Bereich, in dem du dein Pferd freilassen kannst. Das Pferd sollte sich hier wohlfühlen, sodass es nicht unkontrolliert zu rennen beginnt und nervös wird, sobald du den Strick löst.

Außerdem ist ein grundlegendes Gefühl von Sicherheit für die Freiarbeit essentiell. Wenn du befürchtest, dass dein Pferd sich gegen dich wenden könnte oder sich so sehr aufregt, dass es dich verletzen könnte, dann verzichte vorerst auf Freiarbeit oder nutze Protected Contact.

EXKURS – “Protected Contact”: Der Begriff Protected Contact stammt aus dem Clickertraining und beschreibt das Training mit einer physischen Abgrenzung zwischen Pferd und Mensch. Das kannst du zum Beispiel nutzen, indem du in der Reitbahn einen Kreis mit einer Litze absteckst – du bist nun innerhalb, dein Pferd außerhalb dieses Kreises. Oder dein Pferd befindet sich im Reitplatz, während du auf der Außenseite des Zauns bleibst.

Von Vorteil ist, wenn du etwas hast, womit du dein Pferd positiv bestärken kannst. Also etwas, das du ihm im Gegenzug für seine Aufmerksamkeit, Teilhabe und Leistung im Training geben kannst. Für einige wenige Pferde ist schon die Aufmerksamkeit und Zuwendung des Menschen ausreichend. Für die meisten Pferde eignet sich Kraulen, Streicheln oder Futterlob besser.

Bei der Wahl des Lobs gilt immer: Das Pferd entscheidet was ein Lob ist und was nicht.

Wenn das Verhalten infolge des „Lobs“ nicht häufiger oder mit verstärkter Mühe gezeigt wird, dann empfindet das Pferd diese Art der Belohnung höchstwahrscheinlich nicht als wünschenswert.
 


Anfangs ist es völlig normal, dass dein Pferd noch lange nicht alles einfach so mitmacht, was du dir wünschst. Ein Motivationstief ist entstanden. Dieser Artikel erklärt dir, was du verstehen musst, um damit gut umgehen zu können: Motivationstief des Pferdes – Was du verstehen musst, um dich davon nicht runterziehen zu lassen


 
Eine Gerte verleitet anfangs schnell dazu, das Pferd über Druckstreigerungen zu einer Reaktion zu drängen oder es für unerwünschte Verhaltensweisen zu strafen. Wenn wir das wiederholt einsetzen, versteht das Pferd allerdings nicht, dass es nun seine Meinung äußern darf. Daher macht es häufig Sinn, vorerst auf Gerten und Peitschen als Hilfsmittel zu verzichten. Bei Bedarf kann man zu einem späteren Zeitpunkt den Einsatz dieses Equipments in angepasster Form wieder einführen.
 


Oft ist die Gerte für das Pferd ein vergifteter Gegenstand, den wir nur mit viel Bedacht im sanften Training einsetzen sollten. Hier erfährst du, was du über den Zusammenhang zwischen der Gerte und Emotionen wissen solltest: Die Gerte und Emotionen – Was du verstehen musst, um sie im sanften Pferdetraining nutzen zu können


 
 

Leckerlies in der Freiarbeit – Ja oder nein?

Willst du die Freiwilligkeit deines Pferdes in der Freiarbeit erhalten oder deinem Pferd zeigen, dass es nun erstmals frei entscheiden kann, solltest du dir einige Gedanken darüber machen, ob und wie du Leckerchen einsetzen möchtest.

Futter ist für den Dauerfresser Pferd ein starker Motivator. In den Augen des Pferdes hochwertige Leckerlies gepaart mit großem Hunger können dazu führen, dass das Pferd sehr motiviert erscheint, ohne wirklich Freude am Training zu haben. Es wird dann tun, was es tun muss, um an das Futter zu kommen, aber es wird dabei keine positiven Emotionen entwickeln. Wir sprechen hier gern vom Druck der positiven Verstärker.
 


Einen tiefen Einblick in diese Problematik gebe ich dir in diesem Artikel:
Gefühlswelten: Positive Verstärkung gleich positive Emotionen?


 
Zugleich brauchst du natürlich auch in der Freiarbeit etwas, womit du deinem Pferd sagen kannst, dass es etwas “richtig” gemacht hat und es sich lohnt, dieses Verhalten erneut zu zeigen. Dafür ist Futter sehr gut geeignet. Du solltest dir dann allerdings immer wieder die Frage stellen: Nimmt das Pferd nur für das Futter am Training teil oder empfindet es auch echte positive Emotionen?

Wenn du lernen möchtest, wie du Leckerchen so einsetzen kannst, dass sie die Sicherheit und das Wohlgefühl von Pferd und Mensch stärken statt gefährden, dann helfen dir die folgenden Artikel:

Basics Clickertraining: Konditionierung
Basics Clickertraining: Höflichkeit und Futterlob
Basics Clickertraining: Präzises Pferdetraining mit dem Markersignal
 
 

Freiwilligkeit als Voraussetzung

Freiwilligkeit stellt für uns eine wichtige Voraussetzung für die Freiarbeit dar.

Wir sehen keinen Mehrwert für die Entwicklung der Beziehung zwischen Mensch und Pferd, wenn wir das Pferd von Halfter und Strick befreien, nur um uns dann über Druck, Zwang und Strafe erneut lupenreinen Gehorsam zu erarbeiten.

Wir möchten nicht per se gehorsame Pferde. Wir möchten ehrliche Pferde.
 


Etwas, das viele Menschen sich nicht trauen – weil sie es sich selbst nicht zugestehen. Tauche tiefer ein in die Welt der charakterstarken Pferd mit diesem Artikel: Über die Fähigkeit, starke Wesen sympathisch zu finden


 
Doch in vielen Alltagssituationen ist es gar nicht so leicht, Rücksicht auf die Bedürfnisse des Pferdes zu nehmen. Hier kann es für die Sicherheit und die Gewährleistung von alltäglichen Anforderungen wie das Führen von A nach B (auch von fremden Personen) sinnvoll sein, zwischen Settings, in denen das Nein des Pferdes respektiert wird und solchen in denen Gehorsam verlangt wird, zu unterscheiden.

Das können wir mittels Equipment sehr einfach erreichen: Wir können dem Pferd vermitteln, dass die Spielregeln solange dieselben bleiben, wie Halfter und Strick dran sind. Sobald wir Halfter und Strick für die Freiarbeitseinheit abnehmen, ist das Pferd (in der umzäunten Umgebung) auch physisch frei vom Menschen.

Wenn wir es ihm nun nicht abtrainieren, hat es die Möglichkeit, sich abzuwenden und sich ohne den Menschen zu beschäftigen. Dadurch kommuniziert es ein klares Nein. Dieses Nein muss nicht bedeuten “Nein, niemals”. Es kann ebenso heißen “Nein, nicht jetzt” oder “Nein, nicht so”.
 

Oft sagt das Pferd auch gar nicht Nein zum Menschen, sondern einfach Ja zu sich selbst.

 
Es geht dann seinen akuten Bedürfnissen nach – z.B. indem es die Reitbahn erkundet, sich wälzt oder ein paar Bocksprünge macht. Manche Pferde nutzen auch die Ruhe, die sie in der Herde nicht bekommen, um zu dösen.

Hier erweist du deinem Pferd Respekt, indem du ihm Zeit gibst. Du kannst dein Pferd aber auch in diesen Aktivitäten begleiten.
 


Ein super Beispiel aus der Praxis (hier ging es um das Thema „grasen“ in der Freiarbeit) bietet dafür der Artikel:
Carina, Lotte und die Freiarbeit


 
Gibt deinem Pferd die größtmögliche Freiheit, indem du wartest, bis es sich dir zuwendet. Und dann mache diese Zuwendung zu einer guten Entscheidung, indem du dich ehrlich freust und ihm deinerseits etwas zurückgibst, das es wertschätzt.
 
 

Kommunikation auf Augenhöhe

Die Freiarbeit bietet die perfekte Möglichkeit, die Beziehung zu deinem Pferd auf Augenhöhe zu vertiefen. Denn hier kann dein Pferd Nein sagen. Es kann sich von dir abwenden oder sich mit anderen Dingen in der Umgebung beschäftigen. Wenn du deinem Pferd tatsächlich die Freiheit lässt, wird es dir ehrlich zeigen, was es momentan vom Training hält.

Stell dir dein Pferd wie einen anderen Menschen vor. Wie würdest du einem anderen Menschen gegenübertreten, mit dem du dir eine Freundschaft wünschst? Wie würdest du dich dieser Person gegenüber verhalten?

Wahrscheinlich würdest du diesen Menschen nicht unter Druck setzen, wenn er sich dir nicht gleich zuwendet. Vermutlich würdest du freundlich grüßen, dich vorstellen und Interesse an deinem Gegenüber zeigen.

Wäre dein Pferd deine beste Freundin oder dein bester Freund würdest du keine Peitsche nehmen um es umher zu treiben so lange bis er sich dir zuwendet. Du würdest deine beste Freundin auch nicht dafür bestrafen, dass sie sich auch für andere Dinge interessiert als nur für eure Freundschaft.

In einer Freundschaft werden die Bedürfnisse des jeweils anderen ebenso geachtet, wie man den anderen über die eigenen Bedürfnisse aufklärt. Das ist Kommunikation auf Augenhöhe. In der Freiarbeit gilt es, das gleiche mit unseren Pferden umzusetzen.
 

Sei geduldig. Frage ohne zu fordern. Lass dein Pferd seine eigene Ideen einbringen und gehe darauf ein, wie du auf die Vorschläge eines lieben Menschen eingehen würdest.

 
Es kann passieren, dass du das Gefühl bekommst, dein Pferd hätte gar kein Interesse an dir oder dem Training. Es ist wichtig dass du nicht aus diesem Gefühl heraus handelst und etwas erzwingst. Frei Arbeit bedeutet frei von Zwang. Denn Freundschaft kann nicht auf einer Interaktion aufbauen, die erzwungen wurde.

Nimm das Gefühl stattdessen einfach war. Und dann warte auf dein Pferd. Warte so lange, bis es sich die zuwendet. Vielleicht wartest du für die ganze Einheit, vielleicht wartest du vergeblich. Aber wenn es sich dir dann zu wendet, kannst du sicher sein, dass es das wirklich aus Interesse tut.
 


In der Praxis nutzen wir dafür das Konzept des „Empowerments“. Was das ist und wie du es nutzen kannst, zeigt dieser Artikel:
Empowerment – Kontrolle ans Pferd


 
Wenn du schon an einem ganz anderen Punkt stehst, und dir in der Freiarbeit er arbeitet hast, dass dein Pferd stets bei dir bleibt, dann kannst du als ersten Schritt versuchen, deinem Pferd und seiner Stimme mehr Raum zu geben.

Anfangs wird oft unterschätzt wie klein und kaum sichtbar die Themen sind, die Pferde ins Training einbringen. Dadurch können diese Ideen natürlich auch nicht bestärkt werden. Weil das Pferd dadurch nicht weiß, dass diese Ideen durch aus willkommen sind, bleiben die Ideen für immer so klein. Das bedeutet für dich, dass du die Ideen schon erkennen musst, wenn sie noch völlig unauffällig sind.
 

Lasse diese Kleinigkeiten zu, und bestärke sie.

 
Mach deinem Pferd Mut, sich einzubringen. Freu dich ehrlich darüber, wenn es dir etwas vorschlägt – insbesondere dann, wenn ihr noch ganz am Anfang steht und die Vorschläge daher wenig spektakulär aussehen.
 

Du brauchst noch mehr Wissen und Ideen Zur sanften Bodenarbeit?

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Hinderliche Erwartungen

Unsere Erwartungen können die Freude an der Freiarbeit leicht vertreiben. Wenn die Freiarbeit auf Freiwilligkeit basiert, dann sollten wir versuchen, die Erwartungen ans Pferd möglichst loszulassen.

Das ist weniger einfach als es sich anhört. In den sozialen Netzwerken, in Filmen und Büchern und vielleicht sogar bei der Stallkollegin sehen wir Pferde, die mit ihren Menschen frei zu tanzen scheinen, deren Motivation keine Grenzen zu kennen scheint. Die Kommunikation zwischen Pferd und Mensch verläuft reibungslos, fast unsichtbar. Und je häufiger wir solche Bilder sehen, desto wahrscheinlicher wird es, dass unser Hirn sie unter “normal” abspeichert und mit dem Label “So sieht Freiarbeit aus” versieht.

Ganz ehrlich?

So sieht Freiarbeit in den seltensten Fällen aus, wenn das Pferd tatsächlich darum weiß, dass es seine Meinung ohne negative Konsequenzen äußern darf.

Es mag Momente wie diese geben, in denen alles leicht aussieht und sich harmonisch anfühlt. Aber das sind meist die Momente ohne Kamera, ohne Zuschauer an der Bande. Spätabends, wenn alle Stallkollegen schon Zuhause sind und wir die Reithalle für uns haben. Wenn wir nur für uns und unser Pferd da sind und den Moment genießen – dann werden solche Momente auch auf freiwilliger Basis möglich.

Natürlich können wir uns dieser Harmonie und diesem Tanz immer weiter annähern. Aber wenn du deinem Pferd seine eigene Meinung und eigene Ideen zugestehst, dann wird dieser Tanz immer eine Improvisation sein. Keine bis ins Detail durchgeplante und auf Knopfdruck abrufbare Choreografie.
 


Es geht hier um die Fähigkeit, das eigene Ego zugunsten des Pferdes zurückstellen zu können. Und dadurch eine gesunde Beziehung zu entwickeln: “Du musst dich durchsetzen!” – Über sinnvolle und toxische Fähigkeiten im sanften Pferdetraining


 
Rufe dir vor jeder Freiarbeitseinheit ins Gedächtnis, dass es darum geht, sich der Schönheit des Tanzes als Ausdruck der Persönlichkeit von Pferd und Mensch anzunähern.

Es geht nicht darum, nach Perfektion zu streben.
 
 

Wie sieht der Einstieg in die Freiarbeit aus?

Sofern die Sicherheit für Pferd und Mensch gewährleistet ist, eignet sich die Freiarbeit so sehr wie kein anderes Trainingssetting zum experimentieren und ausprobieren. Wir müssen hier weniger Angst haben, Fehler zu machen, weil das Pferd jederzeit Nein sagen kann. Außerdem ist dieses ehrliche Feedback des Pferdes ja gerade der größte Vorteil an der Freiarbeit.

Wahrscheinlich wünschst du dir an dieser Stelle eine Anleitung für die ersten Schritte in der Freiarbeit. Doch diese ersten Schritte können für jedes Pferd-Mensch-Team ganz unterschiedlich aussehen.

Wie so oft kommt es auf unsere Ziele und unsere Werte im Umgang mit unserem Pferd an.

Wenn du etwas Inspiration dazu brauchst, womit du die Freiarbeit beginnen kannst, habe ich hier einige Ideen für dich. Experimentiere mit diesen Aufgaben und beobachte dabei, wie dein Pferd reagiert.

  • Lade dein Pferd ein, dir zu folgen.
  • Folge deinem Pferd – Woran zeigt es Interesse?
  • Versuche, im Kleinen mit Energie zu spielen.
  • Könnt ihr präzise zusammen anhalten?
  • Teste, ob du Übungen aus eurem bisherigen Training auch in der Freiarbeit abfragen kannst.
  • Gehe auf die Vorschläge deines Pferdes ein.

Betrachte dich als Detektiv, der Informationen sammelt. Finde heraus, wie der Status Quo mit deinem Pferd aussieht, z.B. in Bezug auf seine Motivation, sein Interesse an Übungen, der Umwelt und dem Training.
 
 

Erste Inhalte der Freiarbeit

Du hast die ersten Freiarbeitseinheiten nun damit verbracht, Informationen zu sammeln und zu experimentieren.

Du weißt, wie motiviert dein Pferd ist, ob es gern bei dir bleibt, bereit ist, sich mit dir zu bewegen, ob es dir Vorschläge macht oder schnell überfordert ist. Du hast erkannt, woran dein Pferd Interesse hat und hast deinerseits Interesse gezeigt. Du hast versucht, bereits Geübtes aus anderen Trainingssettings zu erfragen. Ihr habt euch gemeinsam am freien Folgen, am Spiel mit der Energie und am Anhalten versucht.

Ganz nebenbei habt ihr die ersten Vokabeln eurer gemeinsamen Sprache von Strick oder Zügel losgelöst. Vielleicht sind schon neue Vokabeln hinzugekommen, die ihr braucht, um euch ohne dieses Equipment zu verständigen.

Wenn du mit deinem Pferd an diesem Punkt bist und dich fragst, wie es weitergeht, kannst du die folgende Liste als Anhaltspunkt nehmen. Hier habe ich aufgelistet, welche Trainingsinhalte in unseren Augen zu den Grundlagen der Freiarbeit zählen.

  • den eigenen Raum wahren
  • Interesse des Pferdes gewinnen
  • Vorschläge des Pferdes erkennen
  • Interesse des Pferdes aufrechterhalten
  • sich gemeinsam vorwärts bewegen können – Energie erzeugen
  • Energie verwahren können
  • einen Zirkel (bzw. eine andere stabile Linie) laufen können
  • Tempo und Takt verändern können

Diese Grundlagen möchten wir uns erarbeiten, bevor wir uns mit anspruchsvolleren Lektionen befassen. Mit vielen dieser Punkte werden wir uns ein Leben lang befassen, ohne sie jemals in Perfektion zu beherrschen.
Wenn etwas in der Freiarbeit mit deinem Pferd nicht funktioniert, dann gehe diese Liste durch und frage dich, an welcher Grundlage es mangeln könnte.

Ein Beispiel: Du möchtest mit deinem Pferd am angaloppieren arbeiten. Aber dein Pferd macht nur einen wilden Bocksprung und driftet dann nach außen weg. Wenn du es häufiger versuchst, verliert dein Pferd schnell das Interesse und wendet sich von dir ab. Du gehst die Grundlageninhalte der Freiarbeit durch und dir fällt auf, dass es euch schwerfällt, die Zirkellinie in höherem Tempo zu halten. Während du den Takt in Richtung Galopp veränderst, fällst du auf dein inneres Bein. Dein Pferd folgt dir natürlich nach innen – doch so kann es nicht angaloppieren. Nun weißt du, woran du arbeiten kannst.

Um solche Probleme zu erkennen sind Videoaufzeichnungen der eigenen Trainingseinheiten übrigens unheimlich hilfreich!
 
 

Kommunikation mittels Körpersprache

Unser Körper spielt in der Freiarbeit eine besondere Rolle, weil du dich nicht mehr auf die Verbindung über den Reitersitz oder den Kappzaum und die Longe verlassen kannst.

Zwar ist dein Körper auch in der sonstigen Bodenarbeit von großer Bedeutung, weil du mit ihm ständig Informationen aussendest. Als primäre Hilfe kannst du die Signale deines Körpers nicht einfach entfernen.

In der Freiarbeit gehst du aber noch einen Schritt weiter: Hier nutzt du allein deinen Körper, um zu kommunizieren (und gegebenenfalls eine Verlängerung dieses Körpers in Form einer Gerte). Wenn du hier missverständliche Signale aussendest, kannst du dies nicht mit einer Einwirkung über das Seil übertünchen.

Es ist also entscheidend, dass du deinen Körper gezielt einsetzen kannst, dass du weißt, wie ein Signal beim Pferd ankommt und wie es das Signal interpretieren wird. Dazu gehört ein geschulter Blick, eine gute Koordinationsfähigkeit und ein tiefes Verständis deines Pferdes.

Bodenarbeit

Um deine Körpersprache zu verbessern, kannst du deine eigenen Signale und die Reaktion deines Pferdes erst einmal beobachten. Auch hier lohnen sich Videoaufzeichnungen, die du dir in Zeitlupe anschaust:

  • Was genau machst du mit den verschiedenen Teilen deines Körpers?
  • Was antwortet dein Pferd darauf?
  • Gibst du ein Signal zu einem passenden Zeitpunkt?
  • Widersprechen sich die Signale deines Körpers?

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, zuerst deinen eigenen Körper ins Gleichgewicht zu bringen. Du möchtest eine Haltung haben, die dein “neutral Null” ist – eine Haltung, die möglichst keine andere Information aussendet als: “Ich bin geerdet und gerade gibt es nichts zu verändern”.

Hierzu möchte ich dir eine Übung mit auf den Weg gehen, die wir in unserem Selbstlernkurs “mit mir im dialog” noch vertiefen werden:

Stelle dich aufrecht hin. Deine Füße sind parallel und etwa hüftbreit aufgestellt. Deine Knie sind locker und nicht durchgedrückt. Gehe deinen Körper nun von unten nach oben durch – jeden Bereich für sich – und richte alle Teile übereinander aus.

Lass Spannungen los, die du in bestimmten Bereichen finden wirst. Komme in eine Haltung, in der du mit minimalem Kraftaufwand ganz ausbalanciert und aufrecht stehen kannst, ohne dich in deinen Strukturen hängen zu lassen.

Das ist dein äußeres Neutral Null.

Wann immer du das Gefühl hast, dass dein Pferd dich in der Freiarbeit nicht versteht, komme zurück in dein Neutral Null. Und dann stelle deine Frage nochmal, indem du deinen Körper ganz langsam und achtsam bewegst – Welche Bewegung passt nicht zu der Antwort, die du von deinem Pferd bekommen möchtest?

Die Körpersprache ist ein sehr facettenreiches Thema, das man nicht in einem Blogbeitrag abdecken kann. Wenn du mit deinem Pferd immer wieder durch körpersprachliche Missverständisse in eurem freen Miteinander zurückgeworfen wirst, können wir dich auf dem Weg zur harmonischen Freiarbeit unterstützen.
 

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Gesunde Bewegung in der Freiarbeit

Dass die Bewegung auch in der Freiarbeit der Gesundheit des Pferdes langfristig möglichst zuträglich sein sollte, ist ein Punkt, der häufig vernachlässigt oder komplett vergessen wird.

Freiarbeit wird häufig auch in den höheren Gangarten und auf einem meist recht kleinen Zirkel oder sogar auf einer Volte durchgeführt. Wenn das Pferd in diesen Bewegungen nicht geschult ist und die Kreislinie nicht in Stellung, Biegung und Selbsthaltung durchführen kann, schadet die Bewegung dem Bewegungsapparat (und häufig auch der Motivation, weil sich diese ungeschulte Bewegung meist wenig balanciert und angenehm anfühlt).

Wenn du das Training und dein Pferd durch die Freiarbeit bereichern möchtest, dann sollte es dir also nicht nur ums Zirkeln in möglichst hohem Tempo gehen. Dabei entstehen Fliehkräfte, die auf die Gelenke deines Pferdes wirken und diese verschleißen lassen.

Betrachte die Freiarbeit stattdessen unter denselben Gesichtspunkten, unter denen du die Bewegung deines Pferdes auch in der gymnastizierenden Arbeit betrachtest:

  • Hängt der Rumpf zwischen den Schultern oder wird er mithilfe des Rumpftrageapparates getragen?
  • Schwingt der Rücken nach oben oder sackt er immer wieder nach unten durch?
  • Fußen die Beine des Pferdes gerade nach vorn oder kreuzen sie und kommen schief auf dem Boden auf?
  • Trägt ein Bein des Pferdes deutlich mehr Last als die anderen?
  • Fällt das Pferd auf die innere Schulter oder kann auch das innere Vorderbein frei nach vorn greifen?
  • Läuft das Pferd ständig in Außenstellung oder ist es so geformt, wie die Kreislinie es erfordert?
  • Nickt der Kopf nach vorn-unten oder nach hinten-oben?

Das sind nur einige Punkte, denen du deine Aufmerksamkeit schenken kannst.

Um das praktisch umzusetzen, kannst du deinen Fokus erstmal auf einen Teilbereich des Körpers deines Pferdes lenken, z.B. indem du versuchst, dein Pferd nach Innenstellung oder einer gelösteren Kopf-Hals-Haltung zu fragen.

Eine andere Möglichkeit besteht darin, dein Pferd vor eine einfache Aufgabe zu stellen und diese so gesund wie möglich zu lösen, z.B. indem ihr das Anhalten so gestaltet, dass die Hinterhand mehr Last aufnimmt, statt auf der Vorhand zu bremsen und mit den Hinterbeinen nach außen auszuscheren.

Die gesundheitsförderliche Wirkung der Bewegung in den Vordergrund zu stellen, ist eine tolle Möglichkeit, um die Schwierigkeit zu steigern, nachdem du dir die ersten Inhalte der Freiarbeit erfolgreich erarbeitet hast.

Wenn du durch in der Freiarbeit gymnastizieren kannst, dann praktizierst du Freiarbeit für Fortgeschrittene.
 


Gerade in der Gymnastizierung müssen wir jedoch aufpassen, nicht zu schnell zu viel zu wollen. Daher kommt es auf deine Fähigkiet an, dich zurückzuhalten. Was das bedeutet, zeigt dieser Artikel: So schützt du dein Pferd durch Zurückhaltung


 
 

Abstand ohne Druck aufbauen

Das Kleben am Menschen ist eines der häufigsten Probleme in der Freiarbeit. Gerade das Clickertraining bzw. Training auf Basis positiver Verstärkung bringt hier seine ganz eigenen Schwierigkeiten in der Freiarbeit mit sich. Schließlich wollen wir unsere Pferde nicht mit grobem Seilschlenkern und “Stufe 4” von uns wegschicken.

Denn damit macht man schon die erste Idee von Distanz zu einer unangenehmen Erfahrung.

Damit ihr euch räumlich voneinander lösen könnt OHNE dabei auf Druck und Strafe zurückgreifen zu müssen, kannst du drei Ansätzen nutzen:

1) Eine neue Führposition erarbeiten
2) Das Pferd dazu bringen, mehr vom Menschen weg zu denken
3) Das selbstständige weggehen aufbauen

Wie das ganz konkret aussehen kann, zeigt dir dieser Artikel:
 


3 Übungen, die helfen, wenn dein Pferd in der Freiarbeit an dir klebt


 

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