Dieser Beitrag ist Teil unserer Serie zum Modell der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe (MPMB).
Was passiert, wenn du den konventionellen Umgang mit deinem Pferd veränderst? Hin zu einer Beziehung, die auf Sanftheit basiert und in der du dein Pferd als Wesen mit eigenem Willen respektierst?
Es beginnt ein Prozess, in dem sich eure Beziehung schrittweise verändert.
Diesen Prozess durften wir in unserer Arbeit mit den verschiedensten Pferd-Mensch-Paaren begleiten und konnten daraus ein Modell ableiten. Damit möchten wir zeigen, wie du eine Beziehung zu deinem Pferd auf Augenhöhe aufbauen kannst. Sodass du verstehst, wie ein Umgang basierend auf Sanftheit langfristig funktionieren kann. Dafür musst du wissen, welche Schritte zu welchem Zeitpunkt entscheidend sind.
Im letzten Beitrag haben wir das Modell vorgestellt. Heute schauen wir uns die Abfolge der vier Phasen im MPMB an. Die folgenden Artikel werden sich jeweils im Detail mit den Entwicklungsphasen befassen.
Die Beitragsserie umfasst folgende Artikel:
1. Das Modell der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe
2. Die 4 Phasen der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe 👈 Du bist hier.
3. (Un)Learning – Die 1. Phase der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe
4. Nurturing – Die 2. Phase der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe
5. Coalescing – Die 3. Phase der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe
6. Flourishing – Die 4. Phase der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe
Die vier Phasen in der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe
Die Entwicklung der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe lässt sich in vier Phasen gliedern:
-
1. (Un)Learning
2. Nurturing
3. Coalescing
4. Flourishing
In der (Un)Learning-Phase geht es darum, Bekanntes und Gewohntes zu hinterfragen und Neues zu verstehen, zu erlernen und aufzubauen.
In der Nurturing-Phase investierst du entscheidend in die Entwicklung deines Pferdes, indem du sein Vertrauen in euren sanften Umgang nährst.
In der Coalescing-Phase geht es darum, beiden Seiten (Pferd und Mensch) in der Beziehung Raum zu geben. Durch die erarbeitete Sanftheit wird Verbundenheit immer leichter möglich.
In der Flourishing-Phase erntest du die Früchte eurer gemeinsamen Entwicklung. Sanftheit und eine Beziehung auf Augenhöhe wird leicht und alltäglich.
Aber wieso solltest du dir diese Entwicklung wie eine Abfolge einzelner Stufen vorstellen?
Wieso ein Stufenmodell der Entwicklung der Pferd-Mensch-Beziehung?
Willst du eine Beziehung auf Augenhöhe mit deinem Pferd entwickeln, musst du verschiedene Aspekte (neu) erarbeiten. Diese Aspekte betreffen den Umgang mit deinem Pferd ebenso wie das Training. Dazu zählen z.B. Motivation, Kooperationsbereitschaft und Autonomie.
Jetzt kannst du den Alltag mit deinem Pferd schlicht umkrempeln. Du kannst einfach versuchen, all eure Aktivitäten sanfter zu gestalten und mehr Raum für dein Pferd zu lassen. ABER dieses Vorgehen endet immer wieder in einer Sackgasse.
Wieso?
Bei diesem Vorgehen versuchst du, alles zugleich zu erreichen. So kannst du dich nicht klar auf den entscheidenden Punkt fokussieren.
Außerdem bauen die Aspekte aufeinander auf. Es macht keinen Sinn, Kompromissfähigkeit vor Autonomie zu erarbeiten. Genauso vergebens ist es Motivation für spezifische Aufgaben zu fokussieren, wenn das Pferd noch gar kein Interesse am Menschen hat.
Wenn du nicht weißt, wie diese Aspekte ineinander greifen, wirst du eines immer wieder merken:
Dass dir die Basis fehlt, um die Aufgabe zu meistern, die gerade dran ist.
Aufgaben und Ziele in der Entwicklung einer Beziehung auf Augenhöhe bauen aufeinander auf.
Modell vs. Realität – Dynamische Aspekte der Pferd-Mensch-Beziehung
Und dennoch:
Die Realität verläuft nicht in Stufen. Eher in Spiralen.
Auch wenn du eine höhere Stufe erreicht hast, solltest du dich immer wieder an die Aspekte voriger Phasen erinnern. Diese Aspekte (Eigeninitiative, Vertrauen, Kooperationsbereitschaft etc.) sind keine Punkte auf einer To-Do-Liste. Sie lassen sich nicht abhaken!
Es verhält sich mit ihnen eher wie mit Zimmerpflanzen – über die Zeit sammelst man immer mehr von ihnen an. Dabei brauchen einige mehr Zuwendung und andere weniger. Aber als gute Pflanzenfee wirft man jeden Tag zumindest einen schnellen Blick auf jede von ihnen.
Genau das solltest du auch mit den Aspekten tun, die essentiell für eine Beziehung auf Augenhöhe zu deinem Pferd sind: Im Blick behalten, prüfen, pflegen 🌿.
Lass uns jetzt schauen, welche Aspekte du über die vier Phasen hinweg erwirbst.
(Un)Learning: Die 1. Phase in der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe
Die (Un)Learning-Phase beginnt mit einem Wunsch. Dem Wunsch nach Sanftheit. Der Idee, das du eine Beziehung zu deinem Pferd führen möchtest, in der ihr euch auf Augenhöhe begegnet.
Die entscheidende Entwicklung, um in die nächste Phase überzugehen, liegt hier auf deiner Seite:
(Un)Learning geht in die 2. Phase über, sobald du eine konkrete Idee davon hast, wie eine solche Beziehung funktionieren kann.
(Un)Learning bedeutet (ver)lernen. Du schaust deine Überzeugungen eine nach der anderen an. Auf diese Weise hinterfragst du dein Wissen. Du stellst dir unzählige Fragen. Und du erlaubst dir, bisher gesammelte Antworten zu verwerfen.
Du erschaffst ein neues Konzept davon, wie du in Zukunft mit deinem Pferd umgehen willst. Meistens baut dieses neue Verständnis auf den folgenden zwei Aspekten auf.
Die ersten 2 Aspekte, um eine Beziehung zum Pferd auf Augenhöhe aufzubauen
Eines wirst du früh erkennen:
Für eine Beziehung auf Augenhöhe muss dein Pferd seinen Willen kundtun können.
Es muss Nein sagen können.
Damit haben wir den ersten Aspekt der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe: Autonomie.
Zugleich muss es sich und seine Ideen in eure Interaktion einbringen können. Nicht nur Nein sagen können, sondern auch “Das ist es, was ich will”. Das ist der Aspekt der Eigeninitiative.
In der (Un)Learning-Phase baust du ein erstes grobes Verständnis dieser beiden Konzepte auf. Sowohl für dich selbst als auch für dein Pferd. Damit seid ihr bereit für die 2. Phase: Nurturing.
Nurturing: Die 2. Phase in der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe
Jetzt hast du eine konkrete Idee davon, wie Sanftheit und eine Beziehung auf Augenhöhe funktioniert. Du weißt wie wichtig es ist, dass dein Pferd sich verweigern darf und sich in eure Interaktion einbringt. Das sind die beiden Aspekte Autonomie und Eigeninitiative.
An diesem Punkt beginnt die Nurturing-Phase!
In dieser Phase liegt die entscheidende Entwicklung hin zur 3. Phase auf Seiten deines Pferdes.
Ihr erreicht den Wendepunkt zur Coalescing-Phase, sobald dein Pferd dem Menschen gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen ist. Sobald dein Pferd positive Erwartungen an eurer Zusammensein hat und sich dir motiviert zuwendet.
Ich spreche hier bewusst von einem Wendepunkt. Denn es ist entscheidend, dass sich die Dynamik zwischen dir und deinem Pferd ab diesem Zeitpunkt verändert. Weshalb, darauf werde im Verlauf dieser Beitragsserie noch eingehen.
Welche Aspekte sind es, die ihr euch in der Nurturing-Phase erarbeitet?
Die nächsten Aspekte im Beziehungsaufbau zwischen Pferd und Mensch
Nurturing bedeutet nähren, wachsen lassen. Es geht darum, das Vertrauen deines Pferdes in euren neuen sanften Umgang zu pflegen.
Vertrauen ist also der nächste entscheidende Aspekt.
Vertrauen in euren Umgang auf Augenhöhe entsteht, während dein Pferd ein starkes Nein entwickelt. Wenn du zulässt, dass es sich verweigert und darauf verzichtest, dich durchzusetzen.
Eigeninitiative ist ein weiterer Aspekt. Davon hast du in der (Un)Learning-Phase ein grobes Konzept entwickelt.
Jetzt geht es darum deinem Pferd zu beweisen, dass es sich lohnt, sich dir zuzuwenden und sich in eure Interaktion aktiv einzubringen (= Eigeninitiative).
Motivation ist der dritte Aspekt, der sich in dieser Phase herausbildet.
Du musst einen Weg finden, dein Pferd zu motivieren. Für Aufgaben, die es eher unerfreulich findet. Zugleich musst du auf Werkzeuge wie Drucksteigerung und Zwang verzichten. Ansonsten leidet das gewonnene Vertrauen deines Pferdes.
Dein Pferd entwickelt ein starkes Nein und Vertrauen. Es bringt sich gern und selbstsicher in euer Miteinander ein und ist außerdem motiviert, deinen Ideen eine Chance zu geben.
Erreichst du all das, dann hast du schon einen riesigen Schritt in die Welt des sanften Pferdetrainings gemacht.
Es ist an der Zeit, deinen Fokus erneut zu verändern.
Coalescing: Die 3. Phase in der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe
Vertrauen, Eigeninitiative, Motivation. Mit dieser Basis kannst du in die Coalescing-Phase starten.
Wichtig: Beginne nicht mit den Aufgaben der 3. Phase, bevor du diese Aspekte gefestigt hast. Sei achtsam, wenn du den Fokus schon früher auf die Aspekte legen musst, die ich dir als nächstes vorstellen werde (das kann z.B. wegen der Gesundheit deines Pferdes der Fall sein).
Fehlt Vertrauen, Eigeninitiative oder Motivation und du gehst dennoch zu den nächsten Aspekten über, kann eine Beziehung auf Augenhöhe unerreichbar werden.
In dieser Phase liegt die entscheidende Entwicklung in eurem Miteinander.
Wie verändert sich eure Dynamik?
In der Nurturing-Phase hast du viel gegeben und deine eigenen Ziele und Wünsche zurückgestellt. Für dein Pferd. Damit die Seele deines Pferdes heilen und es eine innere Entwicklung durchlaufen kann.
Durch diesen Prozess hat sich dein Pferd stark verändert. In seinem Auftreten und darin, wie es den Umgang mit dem Menschen wahrnimmt. Das Pferd, das jetzt an deiner Seite ist, ist nicht dasselbe wie vor der Nurturing-Phase.
Es an der Zeit, euer Miteinander auszubalancieren.
Coalescing bedeutet verbinden, zusammenwachsen. Und du kannst mit deinem Pferd nur zusammenwachsen, wenn DU wirklich Teil eurer Beziehung bist. Wenn deine Wünsche, Bedürfnisse und Ziele ebenso Raum finden, wie die deines Pferdes.
Dafür braucht es einen weiteren entscheidenden Aspekt:
Kooperationsbereitschaft & Kompromissfähigkeit.
Du selbst hast diese Bereitschaft und diese Fähigkeit inzwischen stark entwickelt. Wärst du nicht bereit gewesen, zu kooperieren und nach Kompromissen zu suchen, wäre die Entwicklung deines Pferdes unmöglich gewesen.
Wenn du eure Beziehung ausbalancieren willst, ist es erforderlich, dass auch dein Pferd ein Verständnis dieser Ideen entwickelt. Dass es grundsätzlich bereit ist, dir auch mal entgegenzukommen.
Weiterfließen – Der Übergang in die Flourishing-Phase
Autonomie, Eigeninitiative, Vertrauen, Motivation und Kooperationsbereitschaft & Kompromissfähigkeit. Wenn ihr euch diese Aspekte erarbeitet habt, kannst du langfristig sanft mit deinem Pferd umgehen.
Denn es geht nicht nur darum, nett zu deinem Pferd zu sein. Es geht nicht allein darum, nicht-grob zu deinem Pferd zu sein.
Es geht darum, dass ihr BEIDE euch so entwickelt, dass ihr in der Zukunft immer weiter auf Augenhöhe miteinander agieren könnt.
Dafür hast du deinem Pferd dabei geholfen, eine Reihe an Fähigkeiten und Überzeugungen zu entwickeln. Ein positives Bild des Menschen, ein selbstsicheres Auftreten, eine feine Kommunikation… Und du hast dir Fähigkeiten und Konzepte erarbeitet, ohne die Sanftheit nicht möglich wäre.
Jetzt geht es darum, all die Aspekte zu pflegen. Wie Zimmerpflanzen 😉. Dich jedem Aspekt im richtigen Maß, zur richtigen Zeit zuzuwenden.
Manchmal musst du den Fokus wieder mehr auf die Autonomie deines Pferdes legen. Dann musst du wieder mehr Raum für deine eigenen Grenzen oder Wünsche schaffen. Hin und wieder musst du eure Fähigkeit Kompromisse einzugehen in den Fokus stellen. Und dann braucht die Motivation deines Pferdes wieder besondere Aufmerksamkeit.
Ein langfristig sanfter Umgang erfordert die Fähigkeit, all das zu balancieren. Jeden Tag.
Es ist nicht leicht. Aber das ist, worauf es hinausläuft.
Kein magischer Punkt, an dem dein Pferd dir aus Liebe alles gibt. Aber auch kein resignierender Punkt, an dem du alles aufgibst.
Sondern die Entwicklung hin zu zwei Persönlichkeiten, die sich beide für sich selbst einsetzen können. Ein Umgang, in dem ihr einander aus freien Stücken entgegenkommt. Ein Punkt, an dem so vieles (wieder) möglich wird.
Hier beginnt die 4. Phase – Flourishing.
Flourishing: Die 4. Phase in der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe
Wenn du alle Aspekte über einen längeren Zeitraum in Balance halten kannst, seid ihr in der Flourishing-Phase.
Bis zu dieser Phase hast du für eine Beziehung auf Augenhöhe vieles bewusst steuern müssen. Du musstest ständig im Auge behalten, wo dein Fokus liegt, was dein Pferd gerade braucht, an welchem Punkt eurer Entwicklung ihr gerade sein. Es gab immer einen Grund, etwas zu verändern.
In dieser letzten Phase wird alles natürlicher, alltäglicher und intuitiver. Viel mehr Gefühl als Verstand.
Flourish bedeutet blühen, gedeihen. Das ist es, was ihr jetzt tut.
Ihr seid angekommen. Bei euch selbst.
Fazit
Entlang der vier Phasen entwickelst du mit deinem Pferd all die Aspekte, die es für eine Beziehung auf Augenhöhe braucht. Diese Beziehung zu führen bedeutet, die Dynamik dieser Aspekte zu verstehen und sie gezielt beeinflussen zu können.
Bewusst Raum schaffen zu können für das, was euer Miteinander gerade braucht.
Im nächsten Teil dieser Beitragsreihe steigen wir tiefer in die (Un)Learning-Phase ein.
Lies hier weiter 👉 3. (Un)Learning – Die 1. Phase der Pferd-Mensch-Beziehung auf Augenhöhe
Wie hat dir dieser Post gefallen?
4.6
Schade, dass dir dieser Post nicht gefallen hat.
Hilf uns, unseren Blog zu verbessern.
Was hättest du dir gewünscht? Welche Frage ist unbeantwortet geblieben?