„Mein Pferd hat keinen Respekt vor mir. Welche Übungen helfen?“
Dieser Satz löst in mir Schauer aus.
Damit sich in der Pferdewelt etwas zum Wohle der Pferde ändern kann, habe ich diesen Artikel geschrieben, der dir genau erklärt…
- warum meiner Meinung nach zu viel Wert auf Respekt gelegt wird,
- welche wichtigen Grundlagen wir dabei übersehen,
- wann wir Respekt einfordern dürfen
- und was sich womöglich wirklich hinter dem Wunsch nach Respekt verbirgt.
Warum auf Respekt zu viel Wert gelegt wird
Ich finde es in der Diskussion um Respekt und Dominanz so spannend, dass es scheinbar immer um den fehlenden Respekt des Pferdes dem Menschen gegenüber geht.
Verhalten wird nicht unter den Aspekten wie Stress, Verständnis der Aufgabe oder Motivation beleuchtet. Stattdessen wird ein vielfältiges Ursachenpotpourri stumpf mit “fehlendem” Respekt abgestempelt.
Das Pferd galoppiert nicht auf dem Zirkel?
Es achtet den Raum des Menschen nicht?
Beim Spazierengehen zieht es zum Gras?
Das eine Pferd galoppiert vielleicht nicht an, weil ihm schlicht die Balance fehlt. Wahrscheinlich hat es nie freundlich erklärt bekommen, welchen Abstand sich Menschen wünschen. Ein Pferd, das den Menschen zum Gras zieht, verhält sich nicht per se respektlos – es erfüllt sich wahrscheinlich lediglich ein Bedürfnis auf die Weise, die es selbst für angemessen und funktional hält.
Das Problem: Diese „fehlender Respekt“-Interpretation ist hochproblematisch, da sie immer mit einer Abwertung unseres Selbst einhergeht (aka mein Pferd respektiert MICH nicht), welche in der Folge entweder Wut triggert oder Gefühle von Betroffenheit.
Mit diesem Emotionswirrwarr können nur die Wenigsten konstruktiv umgehen, sodass letztendlich die Pferde die oftmals gewaltvollen Konsequenzen ihres (eigentlich sehr natürlichen und logischen) Verhaltens zu spüren bekommen.
Denn: Gewalt beginnt da, wo Wissen endet.
Schauen wir uns einmal an, was ich als Grundvoraussetzungen des Menschen erachte, bevor er dem Pferd Respekt abverlangt.
Kannst du den Test bestehen?
Lass uns mal den Test machen und sehen, welche der aus meiner Sicht essenziellen Höflichkeitsregeln du bereits im Sein mit deinem Pferd fest integriert hast.
Dazu zählen für mich:
- Klarheit in der Kommunikation, leise Signale wahrnehmen und sich die Zeit nehmen, auf die Zustimmung des Pferdes z.B. zur Berührung zu warten
- Pferdefreundliches und passendes Equipment verwenden (Werkzeuge, die dem Pferd keine nachhaltigen Schmerzen zufügen können, also bspw. wenn möglich einfaches Stallhalfter statt Knotenhalfter, keine Führketten, Gebisse mit Hebel nur in allerfeinsten Händen und Gerten aus Holz, die im Zweifel leicht brechen können)
- Pferde in artnahen Konzepten halten, also in einer Herde mit ganztägigem Auslauf, Futter und Wasser
- Respekt vor der Natur des Pferdes zeigen (verantwortungsvoll damit umgehen, welche Dinge man abverlangt und großen Wert auf die eigene Ausbildung legen)
- Verständnis dafür, dass wir Menschen kein Anrecht auf den Körper des Pferdes haben und wenn wir diesen manipulieren, wir das stets zu ihrem größtmöglichen Vorteil tun sollten
- gelebte Demut gegenüber der Weisheit des Pferdes
Dies sind nur einige der großen Beispiele, sicherlich gibt es noch viele weitere (die du gerne in den Kommentaren ergänzen darfst). Und nein, wir müssen nicht perfekt in allem sein, wer ist das schon?
Aber das Bewusstsein für seine eigenen Schwächen zu schärfen, ist ein erster Schritt hin zu mehr Objektivität und Balance im Miteinander.
Wir Menschen dürfen nochmal einen großen Schritt zurücktreten und ganz genau darüber nachdenken, wer hier eigentlich wen mit fehlenden Respekt behandelt, bevor wir den Pferden den schwarzen Peter zuschieben.
(Wann) Dürfen wir Respekt einfordern?
Respekt „einfordern“ bedeutet für mich übersetzt nichts anderes, als die Wiederherstellung einer verloren gegangene Balance.
Das kann bedeuten, dass ein Pferd vielleicht mit der Zeit gelernt hat, dass es bekommt was es möchte, wenn es sich unkooperativ verhält. Zum Beispiel, indem es zum Gras zieht, statt höflich anzufragen und die Antwort des Menschen abzuwarten. Lässt der Mensch das Verhalten einfach zu und wartet ab, bis das Pferd von sich aus wieder den Kopf hebt, macht das Pferd die Erfahrung, dass seine Bedürfnisse scheinbar in diesem Moment mehr wiegen, als die des Menschen.
Damit verhält es sich NICHT respektlos – es erhält lediglich Informationen darüber, was der Mensch für angemessen hält.
Das müssen wir verstanden haben, denn ansonsten werden wir für immer diese und ähnliche Verhaltensweisen (ziehen am Strick, den Menschen umrennen etc.) auf eine persönlich verletzende Weise interpretieren.
Ein eigenes Bedürfnis nicht zu kommentieren ist letztendlich trotzdem ein Kommentar, der dann halt sagt: „Nimm mich nicht so wichtig, mach ruhig dein Ding.“
So kann es schnell passieren, dass das Miteinander in eine Dysbalance zugunsten des Pferdes gerät und der Mensch irgendwann kaum mehr Einfluss auf das Geschehen nehmen kann – was irgendwann zwangsläufig in eine Sackgasse führt und gefährlich werden kann.
Hier dürfen und sollten wir dringend reflektieren, welche Motive beim Pferd dahinterstehen und wie die Bedürfnisse von Pferd und Mensch wieder in Balance zueinander gebracht werden können.
Das ist für mich das Äquivalent zu „Respekt einfordern“.
Was für mich nicht in Ordnung ist, ist das vehemente Einfordern einer Grenze, wenn diese zuvor nicht ruhig und sanft erklärt wurde. Und wenn zugunsten eines Kadavergehorsams, der fälschlich als „Respekt“ gelabelt wird, die (Grund)Bedürfnisse und die Würde des Pferdes mit Füßen getreten werden.
Kein Pferd kommt auf die Welt und weiß, welchen Abstand es wann zum Menschen einzuhalten hat. Es dafür grob zu strafen ist in meinen Augen unfair und schädigt nicht nur die Beziehung, sondern auch die Seele des Pferdes.
Wenn wir dies versäumt haben, dann sollten wir an erster Stelle an „erklären“, statt an „einfordern“ denken.
Umgekehrt sollten wir außerdem nicht vergessen, den Pferden dasselbe Recht zuzugestehen. Wenn wir uns permanent respektlos und unangenehm verhalten, dürfen auch die Pferde uns darauf aufmerksam machen und darauf bestehen, dass wir das Miteinander wieder in eine Balance bringen.
Sodass wir uns schließlich auf Augenhöhe begegnen können.
Was sich wirklich hinter dem Wunsch nach Respekt versteckt:
Wahrscheinlich hast du gemerkt, dass sich hinter dem Deckmäntelchen von: “Ich erwarte Respekt!” eine ganze Menge andere Dinge versteckt, wie etwa: Die eigenen Wertvorstellungen, ein gewisses Emotionswirrwar oder unbewusste Erwartungen.
Daher habe ich ein paar Aufgaben vorbereitet, die dir dabei helfen, diesen Auslösern auf die Spur zu kommen.
Die folgenden Schreibimpulse solltest du nun ganz in Ruhe für dich beantworten – vielleicht in deinem Journal oder auf einem einfachen Blatt Papier. Gerne kannst du dir die Fragen auch ausdrucken und schön gestalten, sodass es dir noch leichter fällt, dich ihnen zu widmen:
- Wenn ich mir von meinem Pferd Respekt wünsche, dann möchte ich in Wahrheit diesen Wert von mir erfüllen (z.B. gesehen werden, Kontrolle ausüben):
- Hinter dem Wunsch nach Respekt steht folgende Erwartung (aus meinem Inneren oder auch von außen kommend):
- Wenn mein Pferd mir scheinbar keinen Respekt schenkt, welche Emotion löst das in mir aus?
Wie konstruktiv, also gewaltfrei und planvoll, kann ich mit dieser Emotion umgehen (Skala von 1 bis 10 = perfekt)? - Wenn die Zahl niedriger als 7 ist: Welche Erklärungen aus den Kategorien Stress, Verständnis der Aufgabe und Motivation kann ich sonst noch für das Verhalten finden, von dem ich glaube, dass es auf fehlendem Respekt basiert?
- Welche Emotion löst diese Erkenntnis in mir aus?
- Wie konstruktiv, also gewaltfrei und planvoll, kann ich nun mit dieser Emotion umgehen (Skala von 1 bis 10 = perfekt)?
Fazit
Eine Erkenntnis ist am Ende immer nur so viel wert, wie sie auch im tatsächlichen Leben angewendet und gelebt werden kann. Beobachte dich daher ganz genau, hintefrage deine Motive hinter dem Wunsch nach Respekt und beleuchte auch, inwiefern du dich von deinem Pferd respektiert fühlst. Versuche, eure beiden Bedürfnisse miteinander in Einklang zu bringen.
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1 Comment
Liebe Jana !
Du hast ja so Recht ! Ich selbst bin ja noch Neuling und bin daher manchmal ziemlich unklar, mir fehlt einfach die Erfahrung. Ich weiß das durchaus,und würde daher niemals meine liebe Ponyoma ( Pflegebeteiligung), die schon so viel in ihrem Leben erlebt hat ,für meine Unwissenheit bestrafen !
Wenn ich sie übergreifend knuddel,weil ich mich manchmal einfach nicht beherrschen kann ,und sie schnappt nach mir ,dann weiß ich ,dass sie mir ihren Unwillen mitteilt. Dann entschuldige ich mich bei ihr ,und sie verzeiht mir meine menschliche Anwandlung:-).
Oder wenn ich träumend neben ihr gehe und sie mich zum Gras zieht ….warum auch nicht ,wenn Mensch das zulässt?!
Oder,oder ,oder ……
Ich erlebe so oft ,wie Pferdebesitzer mit ihren Pferden umgehen wie mit kleinen Kindern und auch so mit ihren reden ….drohen ,schimpfen ,meckern ,sich beklagen usw.
Hat das was mit Respekt zu tun ? Ich finde nicht …..
Deshalb ist es gut und wichtig ,dass es Menschen wie Euch gibt! 🙂
LG