Dein Pferd rempelt dich um, läuft in dich hinein und du musst ständig aufpassen, dass es dir nicht auf die Füße tritt? (Oder dir seinen Unterkiefer über den Schädel zieht 👈 Nathans Spezialität 🥴.)
Wenn Pferde sich distanzlos verhalten, wird (mal wieder) gern von Respektlosigkeit gesprochen. Und was man da tun muss?
Das Pferd mal richtig unterordnen und in seine Schranken weisen.
Natürlich musst du dich von deinem Pferd nicht rumschubsen lassen. Dein Wohlbefinden ist wertvoll und darf behütet werden.
❌ Weshalb wir rüpelige Pferde trotzdem nicht als respektlos abstempeln (und entsprechend behandeln sollten), habe ich hier erklärt:
Dein Pferd ist respektlos? Warum Respekt NICHT hilft, Verhaltensprobleme sanft zu lösen
“Respekt” ist ein menschliches Konzept, das Pferde meiner Ansicht nach nicht besitzen. So kommt es zu Fehlinterpretationen, die einer tiefen Pferd-Mensch-Beziehung und einem harmonischen Alltag im Weg stehen.
⚠️ Wenn ich im Folgenden von “respektlos” spreche, dann meine ich damit also nur unsere menschliche Kategorisierung und spreche NICHT aus Sicht der Pferde. Die Wortwahl dient vor allem der Auffindbarkeit dieser Artikelserie.
Heute geht es darum, besser zu verstehen, weshalb manche Pferde nicht so sanft und vorsichtig mit uns Menschen umgehen, wie wir uns das wünschen. Damit du keine Gewalt brauchst, um deinem Pferd klar zu machen, dass du es vorsichtiger mit dir umgehen muss als mit anderen Pferden.
Dieser Beitrag ist Teil der „Respektloses Pferd?“-Reihe:
1. Weshalb dein Pferd sich rüpelig, gefährlich oder respektlos verhält
2. Was du tun kannst, wenn dein Pferd gefährlich und aggressiv ist
3. Wieso dein Pferd dich umrempelt und dir ständig zu nah kommt
👈 du bist hier
4. Wie du mit deinem rüpeligen Pferd einen achtsamen Umgang etablierst
5. Bodenarbeitsübungen fürs achtsame Miteinander mit rüpeligen Pferden
Wieso macht es einen Unterschied, ob dein Pferd einfach achtlos oder aggressiv ist?
Aggressives Verhalten hat häufig das Ziel, sich gegen eine Situation zu wehren. Den Einfluss oder die Behandlung durch den Menschen loszuwerden. Achtloses, rüpeliges Verhalten hat damit meistens nichts zu tun.
Es ist hingegen oft ein Gefühls- oder Bedürfnisausdruck. Dein Pferd möchte dich damit wahrscheinlich auf ein Problem aufmerksam machen.
Und dann gibt es noch einen ganz anderen Grund. Dazu gleich mehr.
Was macht dein Pferd, wenn es achtlos ist?
Oft sehen wir rüpelige Pferde, die
- am Strick wegbüffeln
- impulsartig losgehen und den Menschen ignorieren
- in den Menschen hineinlaufen
- den Menschen schubsen
- zu nah kommen
- in die Taschen kriechen
- den Menschen umrempeln
- am Menschen knabbern oder in die Kleidung beißen
Auch Schnappen kann als Übersprungshandlung zu dieser Gruppe von Verhalten zählen.
Wieso ist dein Pferd so rüpelig?
Unser Nathan ist auch eher Kategorie Bulldozer statt Elfe. Ich habe aber eine interessante Beobachtung gemacht:
Sein “rüpeliges” Verhalten zeigt er gegenüber vertrauten/befreundeten – aber ranghöheren (!) Pferden. Hier wird auch mal herzhaft gebissen (auch abseits vom Spiel), sich zwischen Zaun und bestem Kumpel durchgequetscht und insgesamt nicht unbedingt achtsam miteinander umgegangen.
Rangniedrige Pferde werden hingegen weggeschickt statt umgerannt.
Das finde ich spannend, weil gerade dieses rüpelige Verhalten so gern als respektlos betitelt und behauptet wird, dass ein Pferd sich niiiiemals gegenüber einem Leittier so verhalten würde.
Von Nathan kann ich sagen: Ein rangniederes Pferd kann so gut mit dem “Leittier” befreundet sein kann, dass es sich diesen Umgangston “leisten” kann. Und dafür selten eins auf den Deckel bekommt.
Eine übersehene Ursache: Körperbetonter Umgang als natürlicher “Ton” des Pferdes
Ist dein Pferd dir gegenüber körperlich und distanzlos? Dann muss die Lösung nicht sein, dir Respekt zu verschaffen. Diese Art scheint einfach der charakeristische Umgangston einiger Pferde zu sein.
Eine Followerin hat auf Instagram eine spannende Vermutung mit uns geteilt: Viele Pferde wachsen in Jungpferdeherden auf – ohne erwachsene Tiere. So können sie nicht lernen, dass ihr rüpeliges (Spiel)Verhalten nicht immer angemessen ist. Das mag ebenfalls eine Rolle spielen.
Mein Punkt ist aber:
Das Verhalten an sich ist oft nicht problematisch.
Dass dein Pferd rüpelig ist, deutet nicht zwangsweise auf ein tieferliegendes Problem in eurer Beziehung hin.
Das Problem besteht eher darin, dass wir Menschen es unangenehm finden, wenn Pferde uns so auf die Pelle rücken. Um das zu ändern, müssen wir Ursachen finden und abstellen. Neben dem “typischen Umgangston” gibt es weitere Faktoren.
Wie Stress dazu beiträgt, dass dein Pferd sich rüpelig und distanzlos verhält
Kennst du das?
Jetzt nur noch schnell die Jacke an und in die Schuhe schlüpfen. Die Uhr tickt – wenn du jetzt nicht losgehst, kommst du zu spät! Du bist schon fast aus der Tür, da fällt dir ein, dass du deinen Schlüssel nicht eingepackt hast. Also schnell zurück in die Wohnung. Fuck, du bleibst mit deinem T-Shirt an der Türklinke hängen. Durchatmen, rauswinden, jetzt aber!
Und zack, haust du dir die Hüfte an der Kommode an.
Stress verändert die Wahrnehmung.
Dein Blick wird fokussierter – und blendet aus, wie nah du an der Kommode vorbeiläufst.
Du fühlst den Raum um dich herum nicht mehr so, wie du es normalerweise tust, denn du bist fokussiert auf dein wichtigstes Ziel (schnell schnell den Schlüssel holen).
So geht es auch unseren Pferden.
Bei Stress und überfordernden Außenreizen rutscht die Kommunikation mit dem Menschen aus dem Fokus. Aus Sicht deines Pferdes geht es um dessen körperliche Unversehrtheit bzw. Überleben. Da ist für den Moment einfach weniger wichtig genau zu spüren, wo du stehst.
Dich dennoch wahrzunehmen wird noch schwieriger, wenn du selbst hektisch wirst und dich aus Unsicherheit viel bewegst.
Seine Energie leitet dein Pferd in Bewegung und manchmal in Übersprungshandlungen um. Es bewegt sich mehr und hektischer, sodass es schneller in deinen Raum eindringt.
Weshalb Ablenkung dein Pferd rüpelig macht
Ablenkung ist letztendlich auch eine Form von Stress: Denn dein Pferd lässt sich ablenken, wenn es die Außenreize als bedeutungsvoller (oft: bedrohlicher) einstuft als dich.
Ein anderer Grund für Ablenkung: Es möchte sich eurem Training mental entziehen, weil der Umgang mit dem Menschen selbst eine Bedrohung darstellt (dann kommt es aber normalerweise nicht zu rüpeligem Verhalten, weil der Fokus dennoch auf dem Menschen liegt).
Dieses Gefühl der Bedrohung muss nicht direkt etwas mit dir persönlich zu tun haben. Es kann auch aus negativen Erfahrungen mit anderen Menschen entstanden sein. Oft reicht auch schon Überforderung mit der Trainingsaufgabe, um Dissoziation auszulösen.
Ist dein Pferd abgelenkt, rückst du wieder aus seinem Fokus. Es hat dich als Teil seiner Umwelt nicht mehr so im Gefühl. Je bedeutsamer andere Reize für dein Pferd sind und je aufgeregter es ist, desto wahrscheinlicher wird es, dass es z.B. in dich hinein läuft.
Hat du deinem Pferd antrainiert, rüpelig zu sein?
Wenn körperbetontes, distanzloses Verhalten so die Art deines Pferdes ist, kann noch etwas hinzukommen: Dass es nie systematisch gelernt hat, welchen Umgang Menschen akzeptabel finden.
Vielleicht suggeriert deine Reaktion deinem Pferd, dass es für dich okay ist, wenn es dir so nah kommt. Oder dass du das sogar magst.
Viele Menschen gehen mit Berührungen darauf ein, wenn Pferde ihnen nah kommen.
Das ist nicht prinzipiell problematisch. Aber deinem Pferd kommunizierst du damit, dass du diese Nähe okay findest. Das ist ungünstig, wenn du dich eigentlich unwohl fühlst oder ärgerst, wenn dein Pferd dir so auf den Schoß kriecht.
Wahrscheinlich nimmt dein Pferd außerdem wahr, wenn dein Handeln nicht mit deinem Gefühl übereinstimmt. Das kann Stress hervorrufen und verstärken.
Unachtsames, distanzloses Verhalten kann außerdem selbstbelohnend sein.
Das heißt:
Für dein Pferd fühlt es sich so gut an, dass es keine weitere Bestärkung braucht, um das Verhalten immer wieder zu zeigen. Das ist ein besonders ungünstiger Kreislauf, weil du die Ursache hier schwer abstellen kannst.
Wie du es schlimmer machst: Zwei Dinge, die du vermeiden solltest, wenn dein Pferd rüpelig ist
❗️Wenn du nur eines aus diesem Beitrag mitnimmst, dann diesen Punkt:
Reagiere mit Bedacht. Und Gefühl.
Normalerweise passen Menschen sich an den “Ton” des Pferdes an – sie werden selbst grob, laut und hektisch. Es wird meist sehr unpräzise und dafür mit viel Wut im Bauch gestraft.
Das macht den Pferden noch mehr Stress. Vor allem, wenn die Ursache (Stress, Ablenkung…) bestehen bleibt. Das Pferd muss seine starken Impulse unterdrücken, wenn es keine Schläge kassieren will.
Außerdem: Sehr körperliche und distanzlose Pferde lassen sich gar nicht so leicht einschüchtern.
Dann kannst du noch so präzise und korrekt strafen – dein Pferd empfindet den unangenehmen Reiz (den Klaps, den Schlag, dein Schimpfen) nicht als unangenehm genug. Die Strafe prallt an deinem Pferd ab. Du ärgerst dich, und verstärkst beim nächsten Mal die Strafe.
Stellt sich die Frage: Wie weit wollen wir mit dem Strafen gehen? Vor allem, wenn es viel sinnvollere, sanftere Lösungen gibt (dazu kommen wir im nächsten Artikel 🌿).
Erstmal können wir uns merken:
Wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es auch wieder raus.
Also:
Lass dir von deinem Pferd keinen Stress machen. Bewahre die Ruhe, bleib gelassen. Auch wenn es schwer ist, nicht in Hektik und Verteidigungshaltung zu verfallen.
Fazit: Wieso dein Pferd rüpelig ist
Vielleicht gehört die Rüpeligkeit einfach zum Charakter deines Pferdes. Vielleicht hat es auch nur nie ein anderes Verhalten gelernt – weder von anderen Pferden, noch vom Menschen.
Wahrscheinlich spielen Stress und Ablenkung eine Rolle – und verstärken zumindest das körperliche und distanzlose Verhalten.
Im nächsten Beitrag erfährst du, was du tun kannst, wenn dein Pferd zu den Bulldozern gehört und ein bisschen elfiger werden dürfte 🧚.
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1 Comment
Ich bin total erleichtert, dass das vermeintlich „respektlose“ Verhalten gar nicht respektlos ist. Daran habe ich gar nicht gedacht. Ich freue mich schon auf Eure Tipps, wie man damit umgehen kann, denn ständig strafen kommt für mich auch nicht in Frage. Mein kleiner Bulldozer wird möglicherweise auch erleichtert sein, wenn wir einen neuen Weg dafür finden.