“Ich habe es jetzt mal so probiert, wie ich gedacht habe. Aber dann hat meine Reitlehrer*in, Hufbearbeiter*in, Tierärzt*in, Osteo, Physio, Freund*in, Miteinsteller*in, Stallbesitzer*in gesagt, dass…”
So beginnen viele Sprachnachrichten in unseren Ko-Kreationen und Mentorings. Und jedes Mal kann ich spüren, wie die Unsicherheit am Vertrauen ins eigene Urteilsvermögen nagt. Wie das eigene Gefühl in Frage gestellt wird.
Kann ich das so machen?
Darf ich das?
Ist das richtig so?
Oder hat XYZ doch recht 🤯?
Das ist der Moment, in dem ich einschreite. Damit die Selbstzweifel erst gar nicht so groß werden, dass sie all die feinen, noch unscheinbaren Fortschritte auf dem neuen sanften Weg niedertrampeln. Ich erzähle von Erfahrungen mit Nathan und anderen Pferden und von Sackgassen, in die ich gelaufen bin (und andere Menschen hab laufen sehen) und von Wegen aus ihnen heraus. Ich teile Gedanken und Ideen und Vorschläge.
Aber bei all dem Input zählt schließlich nur eines:
Was denkst du?
Wie hat sich das für dich angefühlt?
Was hat dein Pferd dazu gesagt?
Diese Gedanken und Gefühle möchte ich fett unterstreichen.
Du wirst jeden Tag mit so vielen Mythen zugespamt, die sich trotz alternativer Methoden und der Normalisierung von Bodenarbeit so wenig aus der Reiterwelt vertreiben lassen, wie der Hahnenfuß von unserer Weide. Überzeugungen, die immer wieder gepredigt, gepriesen und herausgeschrien werden, bis sie in unseren Köpfen Spuren hinterlassen.
Ob wir wollen oder nicht.
Nicht, weil es keine Alternativen gäbe oder diese Überzeugungen DIE Wahrheit wären. Sondern weil wenig nach anderen Wegen gesucht wird.
Und warum wird wenig nach anderen Wegen gesucht?
Weil die Mythen dabei helfen, die Kontrolle über die Pferde zu behalten. Und wer die Kontrolle hat, kann sein Pferd bestmöglich für sein Freizeitvergnügen benutzen.
Ist Empathie die Lösung oder das Problem?
Willst du in diese Reiterwelt hineinpassen?
Dann ist eine ausgeprägte Empathie ein großes Problem. Wenn du den Pferden ins Gesicht siehst und FÜHLST, was sie fühlen. Wenn du die Ratschläge dazu hörst, wie du angeblich mit Pferden umgehen musst und SIEHST, was das mit den Pferden macht.
Wenn du über ausgeprägte Empathie verfügst, wirst du eines feststellen:
Du kannst dich entweder in diese Reiterwelt einfügen
oder
du selbst sein 🤍.
Beides geht nicht. Weil alles in dir spürt, dass so vieles falsch läuft. Dass du so vieles, was du “musst” überhaupt nicht willst. Dass der Umgang mit Pferden wie er normal ist das absolute Gegenteil von dem ist, was du dir vorgestellt hattest.
Damit bist du nicht allein.
Deshalb möchte ich heute vier Mythen durchleuchten, die im Umgang mit Pferden als notwendig gelten. Und es absolut nicht sein müssen! Damit du morgen ein bisschen befreiter und selbstsicherer zu deinem Pferd gehen kannst 🌿.
Denn dein Gefühl trügt dich nicht.
Es ist so viel mehr möglich, als allgemein behauptet wird.
1. Mythos – Was du sein musst: Hart, konsequent, souverän, ranghoch
☝️ Du darfst auf keinen Fall zu weichherzig, zu nett, zu nachsichtig mit deinem Pferd sein. Sonst tanzt es dir auf der Nase herum. Sonst wird es zur Gefahr. Immerhin wiegt es 500kg. Dagegen musst du dich behaupten. Und zwar mit einem Auftreten, dass deine Leittierposition schon aus zehn Metern ins Auge springen lässt.
So oder so ähnlich wurde es dir zugetragen.
⇢ Weil du leise bist.
⇢ Manchmal zögerlich denn denkst nach, statt gleich voranzustürmen.
⇢ Weil du wenig Raum einnimmst und dafür den Raum deines Pferdes achtest.
⇢ Weil deine Bewegungen und Berührungen achtsam sind und du dein Pferd lieber einmal mehr fragst als zu fordern.
Vielleicht bist du so. Oder nur so ähnlich.
Aber in jedem Fall bist du so, wie DU bist. Ja, es gibt Entwicklungsspielraum. Du kannst souveräner, bestimmter, direkter werden. Aber du kannst nicht über Nacht eine andere Person werden. Und bitte, versuche es auch nicht. Denn wundervoller Weise…
Wundervoller Weise sieht dein Pferd dich ohnehin so, wie du bist.
Es verunsichert dein Pferd nur, wenn du dich verbiegst.
(Und es ist ein Verlust für dein Pferd und diese Welt, wenn du deine Empfindsamkeit versteckst, nur weil andere, weniger wahrnehmende Wesen es für richtiger halten.)
Stell dir vor, du könntest – genau so, wie du heute bist – einen funktionierenden, sanften Umgang mit deinem Pferd entwickelt. In allen Bereichen eures Miteinanders.
OHNE, dass du ein komplett anderer Mensch wirst.
OHNE, dass sich jede Handlung deinem Pferd gegenüber komplett falsch anfühlt.
Denn das ist das Ziel:
Du selbst zu sein.
Auf deine innere Stimme zu hören. Dabei deine Stärken zu nutzen. Dich weiterzuentwickeln, zu lernen, zu verändern – aber auf Grundlage deines Selbst. Auf Grundlage deiner EIGENEN Werte, deiner eigenen Vision, deines eigenen Gefühls.
Also alles bleiben lassen, was dir nicht leicht fällt?
Nicht alles, was sich nicht gleich leicht oder authentisch anfühlt, ist deshalb falsch. Du darfst auch in Richtungen wachsen, die du bisher noch nicht ausgetestet hast. Wie eine Pflanze, die während sie in die Höhe wächst, ihre jungen Triebe tastend in alle Richtungen streckt, um herauszufinden, wo es am hellsten ist und es am meisten Platz für ihre Blätter gibt.
Es geht nicht darum, alles abzuweisen, was dir schwer fällt.
Es geht darum, herauszufinden, welche Eigenschaften du wirklich (weiter)entwickeln musst. Und dich dabei keinen Ratschlägen zu unterwerfen, die nicht deinen Werten entsprechen.
Bestimmtheit, Souveränität, sogar Härte – all das ist auch in dir angelegt. Du kannst es weiterentwickeln. Wenn DU findest, dass das richtig und notwendig und erstrebenswert ist.
Und wenn nicht, dann findest du einen anderen Weg.
2. Mythos – Was du tun musst: Dich behaupten, gegen dein Pferd gewinnen, führen und kontrollieren
☝️ Du darfst dem/der das nicht durchgehen lassen. Das ist dominant/frech/respektlos. Du musst deinem Pferd zeigen, wer das Sagen hat! Wenn du das nicht so und so machst, wird dein Pferd bald richtig gefährlich.
So oder so ähnlich wurde dir mit deinem Pferd vielleicht auch schon eine abenteuerliche Zukunft prophezeit.
Eine Sache hast du wahrscheinlich schon mal gefühlt:
Wer denkt, dass er mit seinem Pferd kämpfen muss, bekommt einen Kampf – und mag als Sieger daraus hervorgehen. Aber er bekommt keine liebevolle, freundschaftliche Beziehung, wenn er sein Pferd dabei verlieren lässt.
Ein Glaube, der weit verbreitet (aber dadurch nicht wahr ist): Du musst zum Leittier deines Pferdes werden, um die Sicherheit sicherzustellen. Weil dieser Glaube sich so perfekt dazu eignet, seelische und körperliche Gewalt gegenüber Pferden zu rechtfertigen, wird in der Reiterwelt wahrscheinlich noch für viele viele Jahre daran festgehalten werden.
Die Annahmen dahinter mögen dir schlüssig erscheinen oder nicht – die praktische Umsetzung in der Realität widerstrebt dir dennoch, oder?
Das liegt nicht daran, dass du zu weich oder schwach bist. (Oder nicht geeignet, ein Pferd zu haben.)
Es liegt daran, dass dein Körper einen Zusammenhang spürt, der den meisten verborgen bleibt.
Wir können nicht Gehorsam UND Freundschaft haben
Wenn ein Pferd sich dem Menschen unterordnet, stellt es seine eigenen Bedürfnisse hinten an. Es kommuniziert nicht mehr authentisch, was ihm wichtig ist – was es fühlt, braucht und will. Sobald ein Pferd nicht mehr nach außen zeigt, was in seinem Inneren vor sich geht, ist keine Beziehung auf Augenhöhe mehr möglich.
Du kannst dein Pferd nicht mehr richtig sehen – so wie es wirklich ist – wenn es sich deinem Willen kategorisch beugt.
❌ Ein braves Pferd ist kein Pferd, das sich dem tollen ranghöheren Menschen angeschlossen hat und sich jetzt wunderbar geborgen fühlt.
Ein braves Pferd ist vor allem ein erstummtes Pferd.
Und das ist es, was du fühlst. Was sich für dich falsch anfühlt.
Die verbreitetste Idee von Führung im Umgang mit Pferden besteht in übergriffiger Kontrolle. Sie hat nichts damit zu tun, das die Pferde sich „freiwillig“ dem Menschen anschließen. Führung dient hier nicht dem Wohlbefinden des Pferdes! Sondern der Nutzbarmachung im Sinne des Menschen.
Auch die angepriesene Konsequenz, die Pferde angeblich so dringend brauchen, dient meist eher dem Menschen. Wieso du im sanften Pferdetraining darauf verzichten kannst, habe ich hier erklärt:
Wie viel Konsequenz braucht (d)ein Pferd? Wann du konsequent sein musst und wann nicht
Natürlich musst du dennoch für dich eintreten. In der Beziehung zu deinem Pferd ebenso wie in allen anderen Beziehungen. Aber du musst nicht GEGEN dein Pferd bestehen. Du musst keinen Kampf gegen dein Pferd gewinnen (und es damit zum Verlierer machen).
Deine Aufgabe besteht darin, euer beider Grenzen im Miteinander zu achten. Sodass ihr beide etwas aus dieser Beziehung zieht.
3. Mythos – Was du von deinem Pferd fordern musst: Leistung & Gehorsam
☝️Du steckst so viel Geld, Zeit und Mühe in dein Pferd. Und dann reitest du es nicht einmal. Hast du keine Lust, auf Kurse zu fahren oder mal einen Strandritt zu machen? Woher willst du denn überhaupt wissen, dass dein Pferd das nicht will. So schlimm ist das doch nicht. Das machen Pferde doch problemlos mit.
Und doch fühlst du, dass es für dich und dein Pferd nicht stimmig ist.
Dass du keine Leistung erwarten und dafür nicht ständig Gehorsam einfordern willst. Dass du jetzt eine schöne Zeit haben willst – die dein Pferd als ebenso schön empfindet. Und nicht irgendwann, wenn du genug trainiert hast um all die “tollen” Sachen zu machen, denen die anderen mit verbissenen Gesichtsausdrücken nacheifern.
Vielleicht reitest du ja regelmäßig, fährst gern auf Kurse oder willst unbedingt mal mit deinem Pferd in den Urlaub. Darum geht es mir nicht.
Es geht mir darum, dass es okay ist, wenn eure Beziehung oder auch einfach das seelische Wohlergehen deines Pferdes wichtiger ist als eine Leistung, die es für dich erbringen könnte. Wichtiger als dein Vergnügen.
Es geht mir darum, dass etwas dran ist an dem, was wir beide wissen:
Dass dein Pferd nichts leisten muss, um etwas wert zu sein.
Dass euer Alltag auch funktionieren kann, ohne dass du ständig seinen Gehorsam einforderst.
Du darfst wollen, was DU willst.
Egal, was die anderen sagen. Egal, was den anderen wichtig ist.
4. Mythos: Wer es besser weiß, als du – Die Anderen
Der vierte und letzte Mythos wird weniger mit Worten an dich herangetragen als mit dem Verhalten anderer Menschen. Und gibt dir den Glauben, auf andere hören zu müssen, weil die es besser wissen als du.
Denn sie haben schließlich mehr Erfahrung, mehr Wissen und so viele Jahre mehr Pferdeerfahrung als du, stimmt’s?
Also hörst du auf sie. Zweifelst immer wieder an deinem eigenen Urteil. Statt auf dein Gefühl zu vertrauen und dich auf die Suche nach deinem sanften Weg zu machen.
Aber weißt du, die meisten anderen Pferdebesitzer sind auch nicht schlauer als du.
Sie sind sich ihrer Position nur sicherer (was leicht ist, mit der Mehrheit im Rücken). Sie sind nur lauter. Teilen ihre Meinung nur mit mehr Wumms.
Dabei haben wir alle eine verzerrte Weltsicht. Wir haben alle nur unsere Annahmen, auf deren Basis wir mehr oder weniger erfolgreich unsere Ziele verfolgen, die mehr oder weniger unseren Werten entsprechen.
Wenn dein Gefühl dir sagt, dass etwas nicht richtig ist, dann ist das für dich so. Lass dir nicht einreden, dass es keinen Weg gibt. Im Zweifelsfall erschaffst du den Weg.
Aber frage nicht Menschen um Rat (und lass dir ihren Rat auch nicht aufdrängen), die gar nicht dasselbe Ziel verfolgen wie du!
Lass dir nicht deinen inneren Kompass entreißen für eine Karte, die nicht die Landschaft zeigt, in der du dich bewegst.
Ja, es gibt Situationen, in denen du gut beraten bist, auf die Expertise und das Wissen anderer Menschen zurückzugreifen. Aber du musst niemandes ungefragten Rat anhören. Du musst nicht die Meinung von Hinz und Kunz in Betracht ziehen und die Beziehung mit deinem Pferd überdenken, nur weil Adelheid die Allwissende mal wieder einen blöden Kommentar abgegeben hat.
Du musst nicht für alles offen sein!
Wie du die Mythen aus deinem Kopf vertreibst
Der erste Schritt:
Erlaube dir, das zu wollen, was du willst.
Eine liebevolle, leise, sanfte Beziehung zu deinem Pferd. Harmonie im Alltag statt spektakuläre Reiteinheiten oder abenteuerliche Geländeritte. Verständnis statt Funktionieren auf Knopfdruck. Miteinander statt Kampf.
Du selbst sein, statt dich verbiegen müssen.
Dein Pferd so sehen, wie es wirklich ist. Sehen, wie es anfängt zu strahlen ✨.
Der erste Schritt ist, dir all das zu erlauben.
Weniger auf das zu geben, was andere für richtig und wichtig halten.
Das kannst du nur selbst tun.
Doch was danach kommt, musst du nicht allein bewältigen. Wenn du die nächsten Schritte gehst, können wir deine Mentorinnen, Stallfreundinnen und das Supportsystem sein, das du Zuhause vielleicht nicht hast. Wir gehen gemeinsam: Ins volle Selbstvertrauen – auch wenn von außen Druck gemacht wird.
Weil dein Pferdeweg sich endlich sanft UND leicht anfühlen soll, gibt es unsere 2:1-Angebote (Jana, ich und vielleicht du…? ☺️).
Alles über unsere Zusammenarbeit findest du hier 🧚🏻🌿
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2 Comments
Aber was, wenn ich wirklich gerne reiten möchte und mein Pferd eigentlich gar nichts dagegen hat, und es trotzdem nicht klappt? Wenn das „eigentlich“ nur daraus resultiert, dass wir manchmal nicht wissen, was wir tun sollen, wenn sich einer von uns beiden fürchtet und es einfacher ist, streng zu sein und vor allem schneller geht (damit meine ich, dass man schneller aus der „Gefahr“ heraus ist)? Mir wurde unlängst gesagt, ich sei zu „zu liebevoll“ zu meinem Pferd – ich möchte nicht weniger liebevoll sein, aber ich bin auch noch da, ich habe auch Wünsche und Bedürfnisse, sonst bin ich nämlich irgendwann zu frustriert, um noch liebevoll sein zu können.
Einer Schülerin von uns wurde auch gesagt, dass sie zu „nett“ mit ihrem Pferd sei. Daraufhin hat sie geantwortet: „Ich bin so nett zu meinem Pferd, wie mein Pferd zu mir ist.“ Ich liebe ihre Antwort darauf aus zwei Gründen: 1) Sie ist entwaffnend und charmant 😃 2) Sie zeigt das, was du selbst beschrieben hast: Es ist ein GEBEN und nehmen. Wie auch in unserem Artikel beschrieben („Warum du es immer noch nicht schaffsat, sanft mit deinem Pferd umzugehen“ ) geht es nicht darum, dem Pferd alles an Komfort und Freiheit zu ermöglichen, sondern eine gesunde Balance aus eigenen Bedürfnissen und denen des Pferdes zu finden. Was du beschreibst klingt sehr danach, dass es hier kein Problem mit der Sache an sich „reiten“ gibt, sondern mit fehlenden Werkzeugen. Du weißt noch nicht, wie du konkret damit umgehen sollst, wenn Ninive sich vor etwas fürchtet oder du kannst dich selbst in dem Moment nicht regulieren – das führt dazu, dass ihr an dem Problem vorbei arbeitet, indem du streng wirst und die Grenze einfach übergehst. Das ist zwar keine Lösung, kann aber für den Moment funktional und in Ordnung sein. Auf lange Sicht lohnt es sich aber, an den fehlenden Werkzeugen anzusetzen und hier auch (wichtig!) kompromissbasierte sanfte Lösungen zu finden, mit denen ihr beide zufrieden seid.